Wir haben uns in der letzten Veranstaltung mit der geplanten Gaspreisbremse beschäftigt. Dazu hatte ich Ihnen den Zwischenbericht der
➔ ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme (2022): Sicher durch den Winter. Zwischenbericht, Berlin, 10.10.2022
mit drei Leitfragen zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Neben einer zusammenfassenden Darstellung der Funktionsweise der geplanten Gaspreisbremse – wobei wir gesehen haben, dass es eigentlich zwei geben soll, also eine für große industrielle Unternehmen bereits ab Januar und eine für die vielen „normalen“ Verbraucher ab März 2022, die dann aber im Dezember 2022 durch eine Einmalübernahme der Abschläge zusätzlich entlastet werden sollen (wobei Sie gelernt haben, dass das gar nicht so einfach ist, wenn Sie Mieter in einem Mehrfamilienhaus sind) – ging es am Beispiel des Textes von Marcel Fratzscher – Die Gaspreisbremse ist unsozial – um die in seinem Fall sehr kritische Bewertung der geplanten Entlastungsmaßnahme.
Sie erinnern sich: Fratzscher argumentiert am Ende seines Artikels so: »Wenn schon primär der Preismechanismus für die Allokation benutzt wird, dann sollten Menschen mit mittleren und geringen Einkommen durch Direktzahlungen stärker als vorgeschlagen entlastet werden. Und Besserverdiener sollten keine Entlastung bekommen. Das würde immer noch zu starken Einsparungen bei Menschen mit geringen Einkommen führen, aber Besserverdiener würden sich stärker als jetzt an den Einsparungen beteiligen.« Diese Kritik und der in Umrissen erkennbare Gegenvorschlag wird auch in aktuellen Kommentaren aufgegriffen, so beispielsweise in dem Beitrag Weg mit der Gießkanne von Clara Vuillemin. Sie weist zuerst auf ein praktisches Problem hin, das wir auch bei der Besprechung des Fratzscher-Textes angesprochen haben: Wie erreicht man die, die der Unterstützung besonders bedürfen? Das scheint nicht einfach zu sein:
»Karen Pittel, Mitglied der Gaspreiskommission, hat schon Anfang Oktober im Fernsehen ausgeführt, warum es aus ihrer Sicht nicht möglich sei, zielgerichtet Haushalte mit Gasheizung und tiefen Einkommen zu unterstützen: Es gebe zwar die Daten darüber, wer wie heize und es gebe auch Daten darüber, wer wie viel Geld zur Verfügung hätte, doch es sei aus Datenschutzgründen nicht möglich, diese Informationen zu verknüpfen. Ergo bliebe gar nichts anderes übrig, als schlicht alle Haushalte, die mit Gas heizten, zu unterstützen.«
Kann man angesichts dieses unlösbar daherkommenden Problems trotzdem etwas machen?
»… es gäbe eine Alternative: Nämlich stattdessen alle Haushalte mit wenig Geld zu unterstützen, unabhängig davon, wie sie heizen. In beiden Fällen werden die Haushalte mit Gasheizung und wenig Geld unterstützt, in ersterem Fall werden zusätzlich Reiche mit Gasheizung entlastet, in Letzterem arme Menschen ohne Gasheizung. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit wäre Zweiteres wünschenswert.«
»Warum also dieses staatliche Geld nicht in Form von großzügigen, nicht zweckgebundenen Auszahlungen – einmalig oder mehrmalig – an alle Haushalte mit niedrigem Einkommen verteilen?«
»Denn wie die Debatten über Strom, Benzin, Heizöl und Holz zeigen, steigen die Preise für alle Energieformen und Heizen wird teurer – grundsätzlich und für alle. Und: Wenn die Energiepreise steigen, dann steigen auch die Preise für viele andere Güter.
Es gibt in Deutschland Menschen, die das verkraften können. Und es gibt Menschen, für die es aus unterschiedlichen Gründen eine existenzielle Bedrohung darstellt.«
Und Clara Vuillemin weist noch auf einen anderen, zu diskutierenden Vorteil hin, wo ein Aspekt auftaucht, der uns noch beschäftigen wird in der Veranstaltung:
»Ein weiterer Vorteil einer nicht zweckgebundenen Unterstützungen: Der Sparanreiz bliebe vollständig erhalten. Denn die Nebenkostenabrechnung würde nicht sinken, stattdessen hätten Betroffene mehr finanziellen Spielraum. Kurzfristig ist das wichtig, weil Energie nicht nur teuer sondern auch knapp ist. Langfristig ist es wichtig, damit wir die Energiewende schaffen und unsere Klimaziele erreichen können.«
Ihr Fazit: »Eine großzügige, nicht zweckgebundene Unterstützung aller Haushalte, die wenig Geld zur Verfügung haben, wäre also sozial gerecht, energiepolitisch sinnvoll und zudem einfacher und verständlicher als das aktuelle Maßnahmengewurstel.«
Wie soll das eigentlich finanziert werden?
Sie erinnern sich: Eine Frage in der vergangenen Woche betraf die vom Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „Doppelwumms“ angekündigten 200 Mrd. Euro, die man für die Rettungsprogramme der Bundesregierung bereitstellen will.
Hier nur der Hinweis: Die Gaspreisbremse wird vieldiskutiert, ist aber nur ein Teil der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten oder geplanten Rettungsmaßnahmen. Zugegeben – man braucht schon fast ein Bachelor-Studium, nur um die zahlreichen Komponenten nachzuvollziehen. Eine Übersicht der Bundesregierung, was dazu gehört, finden Sie hier:
➞ Deutschland steht zusammen: »Die Bundesregierung hat umfangreiche Entlastungspakete geschnürt. Gemeinsam umfassen sie nun mehr als 95 Milliarden Euro. Das Ziel: Bürgerinnen und Bürger sollen in dieser Zeit unterstützt und Arbeitsplätze gesichert werden. Die Maßnahmen im Überblick.« Schauen Sie sich das mal in Ruhe an.
Offensichtlich ist da schon eine Menge Geld eingeplant worden. Wir haben bereits diskutiert, wie man die vom Bundeskanzler genannten (bis zu) 200 Mrd. Euro aufbringen will.
Die Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP haben dazu am 11.10.2022 einen
in den Bundestag eingebracht. Schauen wir mal kurz in die am Anfang des Gesetzentwurfs eingebrachte Problembeschreibung und den Lösungsvorschlag:
»Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Situation an den Energiemärkten in Deutschland und Europa immer weiter verschärft. Sie ist seit Beginn des Krieges von einer extremen Unsicherheit über notwendige Gaslieferungen sowie einer außerordentlichen Volatilität bei ohnehin bereits hohem Preisniveau gekennzeichnet. Insbesondere die zuletzt sehr massiven Preissteigerungen bei Gas und damit auch Strom stellen eine erhebliche, teilweise existenzbedrohende Belastung für die Bevölkerung und Unternehmen in Deutschland dar. Insgesamt haben sich der Krieg und seine Folgen für Deutschland nochmals deutlich verschärft.
Ohne weitere staatliche Maßnahmen zur Abfederung dieser Krise wäre bei einem Durchwirken der Großhandelspreise für Strom und Gas mit Produktionsstopps bei energieintensiven Unternehmen zu rechnen. Darüber hinaus würden die hohen Energiepreise von Unternehmen an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben, was die bereits hohe Inflationsrate tendenziell weiter antreiben dürfte. Hieraus und aus den hohen Energiepreisen selbst ergäbe sich ein massiver Kaufkraftverlust für die Bevölkerung. Es bestünde die Gefahr, dass über sinkende Konsumausgaben der privaten Haushalte eine Abwärtsspirale für die deutsche Wirtschaft in Gang gesetzt werden würde, die mit signifikanten Verlusten von Wohlstand und Arbeitsplätzen einherginge. Ein alternativer Ausgleich des Kaufkraftverlustes durch steigende Löhne würde dagegen die Wahrscheinlichkeit einer Lohn-Preis-Spirale deutlich erhöhen, was letztendlich ebenfalls mit massiven negativen wirtschaftlichen Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft verbunden wäre.«
Soweit die Problemanalyse. Was will die Bundesregierung dagegen tun?
»Die Bundesregierung hat zur finanziellen Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Unternehmen in Deutschland einen umfassenden Abwehrschirm mit einem Gesamtvolumen von 200 Milliarden Euro beschlossen. Der Schutzschirm federt die Auswirkungen der verschärften Energielage ab, erhält die volkswirtschaftlichen Kapazitäten und vermindert volkswirtschaftliche Schäden. Wesentliche Elemente des Abwehrschirms sind eine Strom- und Gaspreisbremse. Die steigenden Energiekosten und die schwersten Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen werden hierdurch abgefedert.«
Und wo sollen die 200 Mrd. Euro herkommen? Hier der nur auf den ersten Blick sehr technisch daherkommende Ansatz:
»Mit Beschluss gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes vom 3. Juni 2022 (Bundestagsdrucksache 20/2036) hat der Deutsche Bundestag festgestellt, dass auch im Jahr 2022 aufgrund der anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie, substantiell verschärft durch die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, sich der Kontrolle des Staates entziehende und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigende außergewöhnliche Notsituationen bestehen, wobei insbesondere der Bund betroffen ist. Diese Notsituation besteht auch weiterhin fort und hat sich durch die zwischenzeitliche Entwicklung weiter verschärft. Die nunmehr im Rahmen des Abwehrschirms vorgesehenen Maßnahmen sind erforderlich, um diese außergewöhnliche Notsituation zu bewältigen. Zur Finanzierung von Maßnahmen des Abwehrschirms ist in diesem Jahr die Bereitstellung von 200 Milliarden Euro erforderlich. Diese Maßnahmen sind bis Mitte 2024 möglich. Die Mittel zur Finanzierung der Maßnahmen sollen durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds bereitgestellt werden. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes ist als Fazilität zur Krisenbekämpfung im Zusammenhang mit den Folgen der Corona-Pandemie errichtet worden. Ziel der Gesetzesänderung ist es, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds um einen weiteren Zweck zur Abwehr schwerer wirtschaftlicher Schäden durch die krisenhafte Entwicklung auf den Energiemärkten zu erweitern.«
➔ Wir haben das bereits zusammenfassend bewertet: Man bedient sich einer Hülle für die zusätzliche Kreditaufnahme des Bundes, die für die beiden ersten Corona-Jahre 2020 und 2021 geschaffen wurde, ein sogenanntes „Sondervermögen“, dessen Schuldenaufnahme nicht im offiziellen Bundeshaushalt gebucht werden – und mithin die im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“ nicht beeinträchtigt. Deshalb muss die Kreditaufnahme, also eine weitere Neuverschuldung des Bundes, im noch laufenden Jahr 2022 passieren, denn das wurde noch als ein Jahr von der Mehrheit des Bundestages festgestellt, in dem eine „außergewöhnliche Notlage“ vorliege, die eine entsprechende Neuverschuldung legitimiert. Das alles, damit der Bundesfinanzminister Lindner (FDP) ab Januar 2023 formal die „Schuldenbremse“ wieder einhalten kann im Bundeshaushalt. Man kann das einen Taschenspielertrick nennen, wie auch immer: Die Staatsverschuldung wird weiter erheblich ansteigen und die Finanzierung der Rettungsmaßnahmen wird schuldenfinanziert stattfinden.

Schauen wir uns einmal die Nettokreditaufnahme (= Neuverschuldung) nur des Bundes in den vergangenen Jahren an:

Nun kommen also in diesem Jahr 200 Mrd. Euro neue Schulden dazu. 200 Mrd. Euro? Der eine oder andere von Ihnen wird einwenden: Moment mal, da war doch noch was anderes? Genau, die „Zeitenwende“ des Bundeskanzlers nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr. Und wo kommen die her? Hat man die Steuern erhöht? Eine Vermögenssteuer eingeführt oder wenigstens wie damals Kaiser Wilhelm II. eine Schaumweinsteuer, um die Kriegsmarine zu finanzieren?
Sie ahnen es schon – über ein Sondervermögen: 100 Milliarden Euro für eine leistungsstarke Bundeswehr, so hat das die Bundesregierung überschrieben.
»Das Sondervermögen wird mit einer eigenen Kreditermächtigung in Höhe von einmalig 100 Milliarden Euro ausgestattet. Es erhält keine Zuweisung aus dem Bundeshaushalt und wird getrennt von diesem verwaltet. Die Mittel des Sondervermögens stehen überjährig zur Verfügung und können bedarfsgerecht genutzt werden.«
Nun ist er da, der Endbericht der Regierungskommission
In der vergangenen Woche haben wir noch über die Vorschläge aus dem Zwischenbericht der Kommission gesprochen, diese Tage wurde der Endbericht veröffentlicht. Den finden Sie im Original hier:
➔ ExpertInnen-Kommission Gas Wärme (2022): Sicher durch den Winter. Abschlussbericht, Berlin, 31.10.2022