Ich hatte Ihnen vor dem Hintergrund der am Sonntag gestarteten Fußball-WM 2022 in Katar – die gestern zu einer Niederlage der (noch) viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, also Deutschland, im Spiel gegen die drittgrößte Volkswirtschaft, also Japan, für unsere Nationalmannschaft ziemlich unrühmlich begonnen hat – in einem eigenen Beitrag einige hier natürlich volkswirtschaftlich relevante Hintergrundinformationen zum Fußball, vor allem aber zu Katar gegeben: Die Fußball-WM 2022 im Wüstensand von Katar und darüber hinaus – aus volkswirtschaftlicher Sicht. Am Ende dieses Beitrags fanden Sie den Hinweis, dass der Bundeswirtschaftsminister Habeck nach seiner Katar-Reise zwar verkündet hat, dass es ein Abkommen über langfristige Flüssiggaslieferungen aus dem Emirat geben soll, aber unterzeichnet ist noch nichts. Anders hingegen die Chinesen mal wieder: »Das Golfemirat Katar hat mit China einen langjährigen Vertrag zur Energieversorgung geschlossen. Das staatliche Unternehmen Qatar Energy werde jährlich vier Millionen Tonnen Flüssiggas in die Volksrepublik liefern, teilte der Konzern mit. Der Vertrag laufe über 27 Jahre, hieß es«, so diese Meldung vom 21.11.2022.
Was sind die Hintergründe? Müssen wir uns in Deutschland Sorgen machen?
»Bald soll an den ersten deutschen Terminals verflüssigtes Erdgas ankommen. Doch während sich China langfristig LNG aus Katar gesichert hat, kommt Deutschland bei den Verträgen mit dem großen Lieferanten nicht voran«, so beginnt der Beitrag Wo es bei LNG-Lieferverträgen noch hakt von Till Bücker. Dem kann man viele interessante Zusammenhänge und Erklärungen entnehmen.
Zur Ausgangslage: Um unabhängiger von den russischen Gaslieferungen zu sein, setzt Deutschland unter anderem auf verflüssigtes Erdgas (LNG). Bereits im Frühjahr unterzeichnete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Absichtserklärung mit Katar, das zu den weltweit größten Exporteuren gehört. Ab 2024 soll der Golfstaat eigentlich umfangreich LNG liefern. Konkrete Verträge gibt es bislang aber nicht.
Anders als mit China: Die Volksrepublik erhält künftig jährlich vier Millionen Tonnen LNG aus dem Emirat – und das 27 Jahre lang. Damit umfasst die zu Wochenbeginn verkündete Vereinbarung zwischen Produzent Qatar Energy und dem chinesischen Konzern Sinopec Lieferungen von insgesamt 108 Millionen Tonnen.
Warum haben deutschen Unternehmen noch keine konkreten Lieferzusagen?
Der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat schon im Sommer dieses Jahres dazu ausgeführt: „Die Kataris haben sich entschieden, kein gutes Angebot zu machen“.
Vor diesem Hintergrund hätten sich die Unternehmen woanders Gas besorgt. „Uneinigkeit besteht über Preis, Dauer und Flexibilität der Verträge“, wird Andreas Schröder, Branchenexperte beim Energie-Analysehaus ICIS, in dem Beitrag zitiert. So fordere Katar eine längerfristige Bindung von rund 20 Jahren.
Und mit diesen geforderten 20 Jahren haben einige ein Problem: Deutschland wolle sich wegen der aktuell hohen Preise für LNG, das durch die Verflüssigung und Regasifizierung deutlich teurer ist als konventionelles Gas, und der angestrebten Dekarbonisierung maximal für fünf Jahre binden. Außerdem seien die bald in Betrieb gehenden schwimmenden LNG-Terminals nur für diesen Zeitraum gechartert. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass irgendwann wieder das günstigere russische Gas eine Option werde.
Aber nicht nur mit der langen Laufzeit hadert man: Katar will Deutschland verbieten, überschüssiges LNG an andere Staaten weiterzuverkaufen oder Lieferungen zu stornieren. „Schon in der Vergangenheit hat Katar häufig Verträge abgeschlossen mit sogenannten Destinationsklauseln, die die Abnahmeorte fest vorschreiben“, wird Heiko Lohmann vom Marktbeobachter Energate Gasmarkt im Beitrag zitiert.
Zwischenfazit: Die zentrale Hürde bei den Vereinbarungen mit Katar seien daher neben der langen Laufzeit die mangelnde Flexibilität.
Der Deal zwischen Katar und China könnte die Verhandlungen nun zusätzlich erschweren. Denn: Mindestens kommunikativ ist das für Katar ein Signal der Stärke. Der Vertrag baut Druck auf europäische Konsumenten aus, weil für sie das große Volumen nicht mehr da ist.
Und die Kataris wollen expandieren (und das kostet zugleich enorme Summen, die erst einmal investiert werden müssen): In den kommenden Jahren plant der Wüstenstaat, seine Produktion noch einmal um 60 Prozent ausbauen und damit endgültig zu einem großen Spieler auf dem Markt werden. Ab 2027 will das Land jährlich 126 Millionen Tonnen herstellen. Und bereits heute sind die Kataris im großen Stil im Geschäft:
➔ Katar ist nach derzeitigem Stand schon in diesem Jahr mit einem Anteil von rund 19 Prozent nach den USA der zweitwichtigste LNG-Lieferant für Europa. Auf Rang drei folgt immer noch Russland. Wenn Russland und Katar nicht mehr liefern, fallen 40 bis 50 Prozent der LNG-Exporteure schon einmal weg.
Da stellt sich verständlicherweise die berechtigte und sorgenvolle Frage: Könnte das für Probleme in der Gasversorgung hierzulande sorgen?
Energieexperten seien das „eher gelassen“: Natürlich versuchten die Unternehmen, die wegfallenden russischen Verträge durch langfristige Abkommen beim LNG zu ersetzen, um Sicherheit zu haben. Doch dabei müsse man sich nicht nur auf Katar fokussieren, es gebe weitere Möglichkeiten. Grundsätzlich sei die Beschaffung des verflüssigten Gases über Schiffe wesentlich flexibler als konventionelles Gas, da es nicht durch Pipelines fließe.
Woher bekommt Deutschland denn derzeit das Flüssiggas, mit dem man die russischen Ausfälle zu kompensieren versucht?
➔ Deutschland und andere europäische Länder erhalten das LNG derzeit aus Australien, Malaysia oder Nigeria – aber vor allem aus den Vereinigten Staaten. „Die USA haben dieses Jahr mit extremen Steigerungen ausgeholfen“, so ICIS-Analyst Schröder. Rein technisch könne Deutschland dadurch auf das Flüssigerdgas aus Katar verzichten und sich auf die amerikanischen Lieferungen verlassen. „Dann arbeitet man mit einem verlässlichen Partner, ist aber wieder von einem Land abhängig.“ Gerade das will die Bundesregierung unbedingt verhindern.
Bisher wird das LNG in den Niederlande, Belgien oder Frankreich aufgenommen und weiterverteilt. Mittlerweile befinden sich jedoch auch in Deutschland die ersten Terminals kurz vor Betriebsbeginn:
➞ Am 23.11.2022 ist das erste Spezialschiff zur Umwandlung des flüssigen Erdgases in den gasförmigen Zustand in Deutschland angekommen. Die „Neptune“ soll ab dem 1. Dezember in Lubmin bei Greifswald als schwimmendes Terminal dienen. Dazu sollen auch die Anlagen in Wilhelmshaven und in Brunsbüttel ebenfalls noch in diesem Jahr an den Start gehen.
Und woher kommt das Flüssiggas für diese mobilen Terminals? Energieexperten antworten auf diese Frage so: Der Großteil komme nicht über feste Langfristverträge, sondern vom sogenannten Spotmarkt, auf dem kurzfristig Mengen über flexible Schiffe eingekauft werden können.
Das aber ist nicht unproblematisch: Damit sei Deutschland jedoch anfällig gegenüber den hohen Preisschwankungen, die besonders durch Kältewellen, Dürren oder weltpolitische Ereignisse entstehen.
Nötig sei daher eine Kombination aus kurzfristigen und langfristigen Geschäften. Die gecharterten schwimmenden Terminals sind sowieso eine eher kurzfristige Angelegenheit, gleichsam eine schnell herbeiführbare Notlösung. Für die stationären Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel, die 2025 beziehungsweise 2026 in Betrieb gehen sollen, ergäben längere Verträge aber Sinn, um zu jeder Zeit Planungssicherheit zu haben. Da kommt – im Prinzip – wieder Katar ins Spiel. Aber eben nicht alternativlos:
So unterzeichnete Uniper im September einen langfristigen Vertrag mit der australischen Firma Woodside, der ab Januar bis 2039 gilt. RWE einigte sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit der Abu Dhabi National Oil Company über mehrjährige Lieferungen ab 2023 (vgl. dazu den Beitrag Deutschland erhält Flüssiggas aus Emiraten vom 26.09.2022). Und auch EnBW teilte jüngst mit, seine geplanten Flüssigerdgas-Käufe ab 2026 beim US-Unternehmen Venture Global LNG zusätzlich aufzustocken. Bis dahin dürfte das LNG auch im kurzfristigen Einkauf weiterhin vor allem aus den USA kommen.