Das Weltwirtschaftsforum 2023 in den Schweizer Bergen: Von einem Treffen der Reichen und Schönen bis hin zu den alljährlichen Klagen über die ungleiche Welt

Ich hatte Ihnen in der letzten Veranstaltung einige Hinweise zum Weltwirtschaftsforum 2023 gegeben, das vom 16. bis 20. Januar 2023 in Davos stattfindet. „Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt“ lautet das Motto des Weltwirtschaftsforums, bei dem 52 Staats- und Regierungschefs und zahlreiche Wirtschaftsvertreter aus der ganzen Welt anwesend sein werden. Angemeldet haben sich diesmal fast 2.700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – so viele wie noch nie.

Warum treffen sich die Reichen und Mächtigen, angereichert um weniger bis gar nicht reiche und mächtige Wissenschaftler bis hin zu Klimaaktivisten, die eingeladen wurden, ausgerechnet in Davos in der Schweiz?

»Das hat vor allem organisatorische Gründe, die auf die Anfangsphase zurückgehen. Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums und mit seinen 84 Jahren immer noch geschäftsführender Vorsitzender, ist zwar gebürtiger Deutscher. Er hat aber zum Teil Schweizer Vorfahren. Davos kennt er aus seiner Kindheit. Als Zehnjähriger habe er dort Skifahren gelernt, erzählte Schwab. In der Gründungsphase des Forums war Schwab Wirtschaftsprofessor am Centre d’Etudes Industrielles in Genf und sollte für dessen Jubiläum 1971 eine Veranstaltung organisieren. Seine Idee: ein internationales Manager-Treffen, das European Management Symposium, so hieß das Weltwirtschaftsforum dann noch bis 1987«, kann man diesem Artikel entnehmen: Weltwirtschaftsforum: Warum sich die Reichen und Mächtigen in Davos treffen. Und natürlich gibt es auch ganz praktische, profane Gründe: »Die auf 1.560 Metern mitten in den Alpen gelegene Gemeinde Davos wurde auch deshalb Veranstaltungsort, weil dort kurz vorher das Kongresszentrum eröffnete und der Ort über ausreichend Hotelkapazitäten verfügte.«

Ich hatte darüber schon in der letzten Woche berichtet: Die Botschaften, die uns aus Davos erreichen, sind düster: In seinem neuen Bericht über globale Risiken sagt das Weltwirtschaftsforum (WEF) ein „unsicheres und turbulentes Jahrzehnt“ voraus: Eine „neue Ära“ nach Jahrzehnten des Wachstums und Fortschritts – auf die Globalisierung folgten nun Deglobalisierung und Rückschritt, so die Prognose des WEF basierend auf einer Umfrage unter rund 1.200 Expertinnen und Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik. Und wir haben gesehen, dass es mit Blick auf die kommenden zehn Jahre vor allem Umwelt- und dabei insbesondere die Klimarisiken sind, die als größte Herausforderung gesehen werden.

Auch andere machen vor jedem Weltwirtschaftsforum ihre Umfragen

»Inflation, Krieg, Unsicherheit: Konzernchefs in aller Welt sind laut einer Umfrage pessimistisch«, berichtet Sven Astheimer in der FAZ unter der bezeichnenden Überschrift Manager sehen schwarz für die Weltwirtschaft 2023. »Laut einer aktuellen Umfrage könnte 2023 demnach ein Jahr werden, in dem der Weltwirtschaft vor allem aufgrund der hohen Inflation und geopolitischer Konflikte ein weiteres schwieriges Jahr bevorsteht.«

Dabei handelt es sich um Umfrageergebnisse, die von der Unternehmensberatung PwC veröffentlicht werden, immer zum Beginn eines Weltwirtschaftsforums, das normalerweise im Januar eines jeden Jahres stattfindet: »Seit mehr als einem Vierteljahrhundert lässt die Unternehmensberatung PwC regelmäßig führende Manager zu ihren Erwartungen befragen. In diesem Jahr nahmen rund 4500 Entscheider aus 71 Ländern teil.«

➔ PwC: 26. PwC Global CEO Survey, January 2023

Nach den Umfrageergebnissen »hat sich die Stimmungslage innerhalb eines Jahres komplett gedreht. Heute gehen 73 Prozent der Befragten von einem Rückgang des Weltwirtschaftswachstums aus. Vor einem Jahr war nur rund jeder siebte Verantwortliche so pessimistisch. Dagegen glauben heute nur noch 18 Prozent an eine Steigerung der Wachstumszahlen (Vorjahr: 77 Prozent).«

Die Untersuchung zeigt auch, dass die deutschen Manager besonders pessimistisch sind. Hier gehen vier von fünf Befragten von härteren Zeiten aus. Die deutsche Volkswirtschaft ist stärker in den Welthandel und die Globalisierung eingebunden als die meisten anderen. »Kurzfristig ist die Reaktion der Manager auf die Herausforderung eindeutig: neun von zehn Befragten in Deutschland wollen die Betriebskosten senken, ebenso viele wollen die hohen Kostensteigerungen in Form höherer Preise weitergeben oder haben dies schon getan. Als Reaktion auf die Probleme mit Lieferketten in der Vergangenheit sind immerhin 88 Prozent entschlossen, ihr Netz an Zulieferern zu erweitern.«

Aktuell wird die Attraktivität des Standorts Deutschland (wieder einmal) kritisch diskutiert – in den Zahlen der PwC-Umfrage kann man negative Auswirkungen auf die geäußerte Attraktivität des Landes nicht wirklich ablesen, denn rund 18 Prozent der Manager gaben an, dass Deutschland für sie ein wichtiger Wachstumsmarkt sei – genauso viel wie im Vorjahr. Mehr waren es nur für die USA (40 Prozent) und China, das jedoch gegenüber dem Vorjahr um 4 Punkte auf 23 Prozent verloren hat.

Interessant ist das Ranking der Bedrohungen bei den befragten CEOs:

Interessant an den Ergebnissen ist die niedrige Gewichtung der „sozialen Ungleichheit“ als Bedrohungsdimension – das wird offensichtlich nur von wenigen Unternehmenslenkern als Problem wahrgenommen. Also laut der PwC-Umfrage.

Andere hingegen nutzen das Treffen der Reichen und Mächtigen und skandalisieren die (zunehmende) Ungleichheit zwischen unten und oben

Ebenfalls immer zu Beginn eines Weltwirtschaftsforums geht Oxfam, eine globale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation, an die Öffentlichkeit und präsentiert Daten zu Entwicklung und Ausmaß der globalen Ungleichheit. Oxfam steht für Oxford Committee for Famine Relief und wurde 1942 in Großbritannien als Reaktion auf das Leid der Zivilbevölkerung im von Deutschland besetzten Griechenland gegründet. Seit 1995 gibt es Oxfam auch in Deutschland.

„Erstmals seit 25 Jahren haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen“, heißt es in dem Bericht „Survival of the Richest“, der am 16. Januar 2023 veröffentlicht wurde. Eine deutschsprachige Zusammenfassung gibt es hier:

➔ Oxfam Deutschland (2023): Umsteuern für soziale Gerechtigkeit!, Berlin, Januar 2023

»Die multiplen Krisen unserer Zeit haben verheerende Konsequenzen für die Mehrheit der Menschheit. Hunderte Millionen Menschen sehen sich mit einem dramatischen Anstieg der Kosten für Güter des täglichen Bedarfs konfrontiert und sind von Armut und Hunger bedroht. Und während die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen noch immer viel Leid verursachen, zerstört die Klimakrise die Lebensgrundlagen von immer mehr Menschen.«

Aber es gibt auch einige Gewinner der ganzen Krisen: »Konzerne machen Rekordgewinne und die reichsten Menschen werden noch reicher, was zu einer Explosion der sozialen Ungleichheit führt, die immer extremere Ausmaße annimmt.«

»Pandemie, Klimawandel und Ukraine-Krieg machen Reiche noch vermögender. Arme hungern vermehrt. Besonders stark geht die soziale Schere in Deutschland auseinander«, so beginnt Thomas Magenheim-Hörmann seine Zusammenfassung des neuen Oxfam-Berichts unter der Überschrift Oxfam-Studie: Soziale Ungleichheit eskaliert durch Krisen. »Seit 2020 gingen zwei Drittel aller Vermögenszuwächse an das reichste Prozent der Weltbevölkerung, während die anderen 99 Prozent sich den Rest teilen mussten, hat Oxfam errechnet. Nach Daten der Weltbank hätten in dieser Zeit erstmals seit einem Vierteljahrhundert extremer Reichtum und extreme Armut zugleich zugenommen. Vor 2020 war die Armut noch zurückgedrängt worden.«

Und bei uns? »In der Bundesrepublik seien 81 Prozent der Vermögenszuwächse in den Taschen des reichsten Prozents der Bevölkerung gelandet und weniger als ein Fünftel beim großen Rest, rechnet Oxfam vor.« Verschärft habe sich die Entwicklung durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der nicht nur dort Tod und Verwüstung, sondern auch weltweit stark steigende Preise für Heizen und Essen brachte.

»Deutschland habe schon vor der Pandemie zu den Industrieländern gezählt, in denen private Vermögen mit am ungleichsten verteilt waren. 2021 habe das reichste Promille der Deutschen ein Fünftel allen Privatvermögens besessen, die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung dagegen nur 1,3 Prozent, wobei viele sogar verschuldet seien, zitiert Oxfam aus einer Studie … des DIW.«

»Der deutsche Sparkassenverband schätze zudem, dass bald bis zu sechs von zehn hiesigen Haushalten ihr monatliches Einkommen komplett zur Lebenshaltung einsetzen müssen und nichts mehr sparen können. 2021 galt das erst für 15 Prozent aller deutschen Haushalte.«

»Der Oxfam-Vermögensreport vermittelt jedes Jahr zum Weltwirtschaftsforum in Davos einen Überblick über die Entwicklung der sozialen Ungleichheit und ist diesmal besonders eindringlich. Demnach besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung 45,6 Prozent allen Vermögens. Im letzten Jahrzehnt gingen von 100 US-Dollar, die neu erwirtschaftet wurden über 54 Dollar an diese Superreichen und nur 70 Cent an die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. 2022 ist das Gesamtvermögen aller Milliardäre laut Oxfam zwar im Vergleich zum Höchststand 2021 zwar leicht gesunken, in letzten Monaten aber wieder gestiegen. Für Habenichts geht es dagegen ungebremst bergab. Das Ziel, extreme Armut bis 2030 weltweit zu beseitigen, ist unerreichbar geworden, sagt die Weltbank. Global steigende Mehrwertsteuern und Preise für Lebensmittel belasten Arme besonders, weil sie höhere Einkommensteile für den täglichen Bedarf ausgeben müssen als Reiche.«

»Das global und vor allem auch in Deutschland zunehmende Auseinanderklaffen der sozialen Schere wird indessen von Regierungen vor allem per Steuerpolitik noch verschärft, prangert Oxfam an. Es gebe seit Jahren einen globalen Trend zu sinkenden Steuern für Reiche und Unternehmen, wozu aktuell noch exzessive Übergewinne durch steigende Preise bei Lebensmitteln und Energie kommen. 95 von Oxfam ausgewählte Konzerne dieser Branchen hätten ihre Profite 2022 mehr als verdoppelt. Zugleich planten drei von vier Regierungen weltweit Ausgaben für Gesundheit oder Bildung zu kürzen. Mehrwertsteuern würden parallel vielfach erhöht, was vor allem Arme treffe.«

➔ »95 Lebensmittel- und Energiekonzerne weltweit haben ihre Gewinne 2022 … verdoppelt. Sie erzielten demnach 306 Milliarden US-Dollar an Zufallsgewinnen und schütteten 257 Milliarden US-Dollar (84 Prozent) davon an Aktionärinnen und Aktionäre aus. Oxfam definiert Gewinne als Zufallsgewinne, wenn sie den Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 um zehn Prozent oder mehr übersteigen.« (Quelle: Konzerne und Superreiche sind Krisengewinner, 16.01.2023)

Die Kritik von Oxfam an der Steuerpolitik wird aber auch kritisch gesehen – wie auch die ganz anders gelagerte Kritik derjenigen, die immer zu hohe Steuern für Unternehmen und Reiche beklagen. Dazu Johannes Pennekamp in seinem Kommentar Die Debatte über Ungleichheit ist vergiftet: »Oxfam hält niedrige Steuern für ein Übel der Menschheit, die Familienunternehmer wollen keinen Cent zu viel an den Staat zahlen. Beide Seiten haben Argumente – und einen toxischen Hang zur Einseitigkeit.«
»Zwei Meldungen an einem Tag: Die Familienunternehmer prangern mit Hilfe einer Studie die aus ihrer Sicht viel zu hohen Steuern in Deutschland an und sehen die „steuerliche Standortattraktivität“ in Gefahr. Ein Bericht der Entwicklungsorganisation Oxfam will genau das Gegenteil: Weil die Superreichen und ihre Konzerne immer reicher werden, fehle das Geld, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Das Rezept: Steuern hoch!« Pennekamp packt beide sehr weit voneinander entfernt liegende Positionen zusammen: »Haben Familienunternehmer jemals etwas anderes gefordert als niedrigere Steuern? Wie müsste eigentlich ein optimaler Steuersatz aussehen, mit der ein Familienunternehmer zufrieden und der Staat funktionsfähig ist? Und wie erklärt Oxfam eigentlich, dass der Hunger weltweit über viele Jahre abgenommen hat, obwohl oder gerade weil es zugleich mehr reiche Menschen gegeben hat? Und warum geht es bei Oxfam eigentlich immer nur ums Geld und nicht um all die anderen Dinge, von denen die Entwicklung ärmerer Staaten abhängig ist?«