Wenn man an den Anfang des letzten Semesters zurückspringt, dann wird man konfrontiert mit erregten Debatten über die krisenhaften Auswirkungen der „Gaskrise“ im Gefolge der nach dem russischen Überfalls auf die Ukraine verhängten Sanktionen (die sich anfangs aber noch nicht auf die Energielieferungen aus Russland bezogen haben). Da gab es Ökonomen wie Bachmann et al., die bereits frühzeitig im Frühjahr 2022 ein Embargo gegen russische Erdgasleiferungen gefordert und für machbar gehalten haben, während andere vehement dagegen argumentierten und auf die extrem asymmetrische Energieabhängigkeit der europäischen Länder hingewiesen haben und die besondere Betroffenheit Deutschlands angesichts des Gewichts energieintensiver Industrien in der deutschen Volkswirtschaft hervorgehoben haben. Hinzu kommt die Tatsache, dass zahlreiche Häuser und Wohnungen mit Erdgas geheizt wurden und werden. Insofern war das vergangene Jahr bestimmt von Diskussionen, ob und wie wir über den Winter kommen werden, wenn die Russen die Erdgaslieferungen reduzieren oder gar einstellen, was sie dann ja im Verlauf des Jahres 2022 auch getan haben.
Und heute? »Kalte Häuser und stillgelegte Fabriken – doch statt solcher Schreckensszenarien gibt es nun deutliche Entspannungssignale am Gasmarkt«, so Detlef Landmesser in seinem Artikel Ist die Gaskrise schon vorbei? vom 18. Januar 2023. Er fügt allerdings sogleich an: »ie ökonomische Krise bleibt aber ungelöst.«
Schauen wir uns seine Argumentation genauer an: »Tatsächlich entwickeln sich die drei großen „Wenns“, die die Bundesnetzagentur als Voraussetzung dafür genannt hat, dass Deutschland ohne Gasmangel über den Winter kommt, alle in die richtige Richtung. Also „wenn“ dieses und jenes eintritt, dann klappt es mit der Gasversorgung …«
➔ Einsparungen: »Das erste „Wenn“ war zugleich der deutlichste Hinweis darauf, wie kritisch die Versorgungslage nach dem Stopp der russischen Lieferungen eingeschätzt wurde: Die Bundesnetzagentur hatte den Deutschen nahegelegt, ganze 20 Prozent ihres gewöhnlichen Gasverbrauchs einzusparen. Im vergangenen Jahr lag der Verbrauch nach Daten der Agentur bereits 14 Prozent unter dem Durchschnitt der vorherigen vier Jahre. Die Industrie sparte 15 Prozent ein, private Haushalte und kleinere und mittlere Unternehmen zwölf Prozent.«
➔ Wettereffekt: »Selbstverständlich spielten dabei die vergleichsweise milden Temperaturen eine entscheidende Rolle, zugleich das zweite große „Wenn“ der Agentur, die stets auf die große Bedeutung des Winterwetters für die Versorgungslage hingewiesen hatte.«
➔ Substitution des russischen Erdgases: »Die dritte Voraussetzung, der Beginn der Gaseinspeisung aus den neuen LNG-Terminals noch in diesem Frühjahr, hat sich ebenfalls weitgehend erfüllt. Auch dank beschleunigter Verfahren liegen mehrere Projekte vor ihrem Zeitplan.«
Auch die Prognose stimmt optimistisch: »Das Szenario einer Mangellage und Rationierung von Gasmengen ist also vom Tisch. Die ungewöhnlich komfortablen Speicherstände und das zunehmende Ersetzen der ausgefallenen russischen Gaslieferungen stimmen Energieexperten auch zuversichtlich, dass im Jahresverlauf auch die Vorsorge für den nächsten Winter gelingt. Die wichtigsten Gaslieferanten sind nun Norwegen, Belgien und die Niederlande, dazu kommen zunehmend LNG-Lieferungen aus Übersee.«
Alles gut – oder?
»Während das physische Angebot also weitestgehend gesichert ist, bleibt die ökonomische Seite der Krise ungelöst. Das Ersetzen des billigen russischen Gases verursacht Industrie und Verbrauchern erhebliche Mehrkosten, die auch langfristig nicht einfach verschwinden werden.«
Und dieser kritische Hinweis wird auch nicht aufgehoben durch die deutliche Entspannung auf dem Gasmarkt. »Aktuell werden für den richtungsweisenden Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in den Niederlanden zur Lieferung im Februar nur noch knapp 57 Euro pro Megawattstunde bezahlt. Zur Hochphase der Energiekrise im Sommer war die Notierung bis auf mehr als 340 Euro gestiegen.«
So »sind die Großhandelspreise im historischen Vergleich immer noch sehr hoch. Zwischen Januar 2016 und Frühjahr 2021 notierte der TTF-Preis zwischen rund fünf und 25 Euro je Megawattstunde. Auch heute müssen Gasversorger neue Mengen also noch zu einem Vielfachen des Vorkrisenpreises beschaffen, was sich unweigerlich in den Gasrechnungen niederschlägt. Wegen der langfristigen Natur der meisten Lieferverträge kommen die Preisspitzen nur scheibchenweise und mit mehrmonatiger Verzögerung bei den Endkunden an.«
Sein Fazit: »Auch wenn der Staat mit Gas- und Strompreisbremsen einen Teil der Last schultert, müssen sich die Endverbraucher auf langfristig hohe Energiekosten einstellen. Und die Politik steht vor umso größeren Herausforderungen, weil sie zusätzlich noch die Energiewende meistern will, bei der nicht nur zahlreiche Angebots-, sondern auch infrastrukturelle Probleme zu lösen sind. Die Gaskrise darf also in physischem Sinne als überwunden gelten – ökonomisch betrachtet ist sie es noch lange nicht.«
Alles sehr verwirrend mit diesen Preisbremsen
»Die hohen Energiepreise belasten die Haushalte und Unternehmen enorm. Die Bundesregierung hat daher seit dem Frühjahr drei umfangreiche Entlastungspakete in Höhe von 95 Milliarden Euro geschnürt und einen Abwehrschirm von 200 Milliarden aufgespannt. Zusammen umfasst das Budget nun knapp 300 Milliarden Euro«, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter der Überschrift Gas- und Strompreisbremse vom 1. März 2023. Schauen Sie sich die Erläuterungen des Habeck-Ministeriums mal genauer an.
Und was sagen die Ökonomen zur bisherigen Entwicklung?
Dazu schauen Sie sich bitte die Ausführungen im Frühjahrsgutachten 2023 eines Konsortiums von Wirtschaftsforschungsinstituten an, das im April 2023 veröffentlicht wurde:
➔ Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023): Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken. Gemeinschaftsdiagnose #1-2023, Kiel, April 2023
Konkret geht es um die Seiten 74-85, also um das Kapitel
➔ 5. Strukturelle Folgen der Energiekrise für die deutsche Wirtschaft
Dort wird unterschieden in „Kurzfristige Anpassungsreaktionen“ sowie in „Längerfristige Entwicklungen“. Bitte fassen Sie zusammen, was man darunter versteht.