Die Diskussion über eine Reform der Schuldenbremse – und die Frage, ob und wofür man eigentlich Schulden braucht

Die Frage, warum man eine Reform der Schuldenbremse braucht, kann man mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel so zu beantworten versuchen:

„Die Idee der Schuldenbremse mit Blick auf nachfolgende Generationen bleibt richtig“, schreibt die 70 Jahre alte ehemalige CDU-Chefin in ihren Memoiren.

„Um aber Verteilungskämpfe in der Gesellschaft zu vermeiden und den Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung gerecht zu werden, muss die Schuldenbremse reformiert werden, damit die Aufnahme höherer Schulden für Zukunftsinvestitionen möglich wird.“

Deutschland müsse damit „umgehen, dass es durch die hohen unabdingbaren Verteidigungsausgaben zu Konflikten mit anderen Politikbereichen kommen wird“, warnt Merkel. Klar sei, dass Ausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Verteidigungshaushalt nicht ausreichten. Um zugleich den Wohlstand zu erhalten, bedürfe es Ausgaben in Forschung und Entwicklung von mindestens 3,5 Prozent des BIP.

Zudem sei viel Geld für die Entwicklungszusammenarbeit und die Transformation zum klimaneutralen Leben und Wirtschaften bis 2045 nötig.

Quelle: Merkel wirbt für Reform der Schuldenbremse, in: Tagesschau Online, 26.11.2024

Aber das muss doch etwas systematischer gehen – oder?

Schon seit vielen Jahren wird eine Reform, Weiterentwicklung oder wie man das auch immer ausdrücken will der Schuldenbremse gefordert, um die (angeblich) notwendigen erheblichen Investitionen (auch) über neue Schulden finanzieren zu können. Aber um welche Investitionsbedarfe geht es hier?

Hierzu zwei Quellen, die Sie bitte dahingehend prüfen, 

a) um welche Beträge es in den kommenden Jahren auf Seiten der Investitionsbedarfe geht,

b) wo die Investitionsbedarfe identifiziert werden

und 

c) ob es Bereiche gibt, in denen Sie erhebliche Investitionsbedarfe sehen, die man kreditfinanziert stemmen müsste und die in den beiden Ausarbeitungen nicht berücksichtigt worden sind.

Hier die erste Quelle:

➔ Sebastian Dullien et al. (2024): Herausforderungen für die Schuldenbremse. Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation. IMK Policy Brief Nr. 168, Düsseldorf: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Mai 2024

»Im Jahr 2019 hatten Bardt et al. (2019) erstmalig eine umfassende Schätzung der in der damaligen Haushaltsplanung nicht abgedeckten öffentlichen Investitionsbedarfe in Deutschland vorgelegt und hatten diese Bedarfe dabei auf rund 460 Mrd. Euro über zehn Jahre beziffert. Die vorliegende Arbeit aktualisiert diese ursprüngliche Schätzung. Dabei werden unter anderem in der Zwischenzeit gestiegene Preise, veränderte demografische Aussichten, verschärfte Anforderungen an Dekarbonisierung und den Umbau der Energieversorgung sowie bereits umgesetzte Investitionen berücksichtigt. Als konservative Schätzung für die derzeit noch bestehenden zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarfe über die kommenden zehn Jahre ergibt sich damit eine Summe von knapp 600 Mrd. Euro. Aufgrund ebenfalls gestiegener und in dieser Summe nicht enthaltener Finanzbedarfe für Verteidigung ist diese Summe nicht realistisch im Rahmen der bestehenden Haushalte finanzierbar. Zugleich wird aber auch bei einer etwas höheren Neuverschuldung die deutsche Schuldenquote absehbar weiter fallen. Damit bleibt die Empfehlung aus Bardt et al. (2019) intakt, diese Bedarfe durch zusätzliche Kreditaufnahme abzudecken.«

Zu der angesprochenen Vorgängerstudie aus dem Jahr 2019:
➔  Hubertus Bart et al. (2019): Für eine solide Finanzpolitik – Investitionen ermöglichen!. IMK-Report Nr. 152, Düsseldorf: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), November 2019
»Die öffentliche Hand in Deutschland hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten die eigenen Investitionen massiv vernachlässigt. Das Ergebnis ist ein öffentlicher Kapitalstock, der den Anforderungen einer modernen Volkswirtschaft nicht gerecht wird und unzureichend ist, um den Herausforderungen der durch den anstehenden demografischen Wandel und der – international zugesagten – Dekarbonisierung zu begegnen. Rechnet man die Erfordernisse in den Bereichen Bildung, Verkehr, Kommunikationsnetze und Dekarbonisierung zusammen, so kommt man auf zusätzlich notwendige rund 450 Mrd. Euro € an öffentlichen Investitionen oder öffentlicher Investitionsförderung über die kommenden 10 Jahre, also rund 45 Mrd. Euro € pro Jahr.
Diese Summe ist volkswirtschaftlich gut zu schultern. Es ist aber unrealistisch, diese Investitionen allein durch Umschichtung in den bestehenden Haushalten zu finanzieren. Deshalb sollten die Schuldenregeln im Grundgesetz um eine goldene Regel erweitert werden, die eine Kreditaufnahme im Umfang der Nettoinvestitionen erlaubt. Bis zur Umsetzung einer solchen Regel sollten Spielräume, etwa durch Extrahaushalte, genutzt werden. Wichtig ist darüber hinaus eine nachhaltige Entschuldung der Kommunen, die eine zentrale Rolle für öffentliche Investitionen, insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur spielen.«

Und hier dann die zweite Quelle, die Sie bitte prüfen:

➔ BDI (2024): Standort D mit Investitionen stärken. Programm für Infrastruktur, Transformation und Resilienz erforderlich, Berlin: Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Juni 2024