„Euro-Krise 2.0“ ante portas? Frankreich und (nicht nur) die steigenden Renditen auf Staatsanleihen

»Angesichts des Haushaltsstreits in Frankreich wenden sich die Investoren vom Land ab und verkaufen Staatsanleihen. Dadurch stieg die Rendite heute zeitweise über das Niveau von griechischen Bonds«, konnte man am 28.11.2024 dieser Meldung entnehmen: Rendite französischer Staatsanleihen steigt rapide. »Die jüngste Entwicklung in Frankreich hat an den Finanzmärkten für erhebliche Unruhe gesorgt. So sind die Finanzierungskosten des Landes heute erstmals auf das Niveau von Griechenland gestiegen. Die zehnjährige Rendite französischer Staatsanleihen erreichte im frühen Handel kurzzeitig 3,02 Prozent und lag damit über der von den griechischen Kreditgebern geforderten Rendite von 3,01 Prozent, bevor sie wieder zurückging. Das unterstreicht die Besorgnis der … Anleger über Frankreichs politische und finanzielle Aussichten.« Was da am aktuellen Rand passiert, verdeutlicht ein Blick auf den langfristigen Vergleich zwischen den Renditen für griechische und französische Staatsanleihen:

Exkurs: Entspricht die langfristige Rendite für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren dem, was die Staaten an Zinsen zahlen müssen?
Nein, die langfristige Rendite von Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren entspricht nicht exakt den Zinsen, die ein Staat zahlen muss, aber sie hängen eng zusammen. Die langfristige Rendite bezeichnet die jährliche Verzinsung, die ein Anleger erwarten kann, wenn er eine 10-jährige Staatsanleihe kauft und bis zur Fälligkeit hält. Diese Rendite ergibt sich aus dem Verhältnis von Nominalzins der Anleihe und dem aktuellen Marktpreis der Anleihe. Die Zinsen, die der Staat zahlen muss, sind die jeweiligen Zinszahlungen auf neu begebene Anleihen. Diese Anleihezinsen werden zum Zeitpunkt der Emission der Anleihe festgelegt, basierend auf der damaligen Marktzinsstruktur.
Wenn die Rendite einer 10-jährigen Anleihe steigt, bedeutet das, dass der Markt höhere Zinsen verlangt, um Staatsanleihen zu halten. Dies wirkt sich direkt auf die Zinskosten neuer Anleihen aus, da der Staat neue Schulden zu den aktuell höheren Zinsen aufnehmen muss. Für bereits ausgegebene Anleihen ändert sich der bei Ausgabe fixierte Zinssatz jedoch nicht, nur der Marktpreis der Anleihe schwankt. Die langfristige Rendite reflektiert somit, was Investoren für bestehende Anleihen am Markt verlangen, aber nicht den Zinssatz bestehender Anleihen.

Was sind die aktuellen Hintergründe dieser Entwicklung?

Die Minderheitsregierung unter Premierminister Michel Barnier steht nach nur knapp drei Monaten vor dem Aus. Der rechtsnationale Front National droht, ihr in der kommenden Woche das Misstrauen auszusprechen.

»Barnier warnte dagegen vor „schweren Turbulenzen“ an den Finanzmärkten angesichts des hohen Haushaltsdefizits. Er muss ein Loch in den öffentlichen Finanzen in Höhe von 60 Milliarden Euro stopfen. „Es sieht so aus, als ob die französische Politik mit dem Anleihemarkt kollidieren wird“, sagte Andrew Pease, Chef-Investmentstratege bei Russell Investments … Frankreichs Schuldenstand überschreitet derzeit 110 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Europa stehen nur Italien und Griechenland noch schlechter da. Das sei beunruhigend, nicht nur für Frankreich, sagte Mathieu Plane vom Pariser Institut für Konjunktur und Wirtschaft kürzlich … An einem Sparkurs führe kein Weg vorbei, andernfalls könne das Land zu einem finanziell unberechenbaren Faktor in Europa werden, zum Sorgenfall.«

Droht Frankreich eine griechische Schuldenkrise?

Saskia Littmann hat die Frage Droht Frankreich eine griechische Schuldenkrise? als Überschrift ihres Artikels gewählt – und gibt gleich darunter gewissermaßen etwas Entwarnung: Die Finanzmärkte seien alarmiert und dürften das vorerst bleiben – „auch wenn der Vergleich mit der Vergangenheit hinkt.“

Auch hier wird Michel Barnier zitiert: »Es werde einen „schweren Sturm auf den Finanzmärkten“ geben, warnte Barnier gerade im französischen Fernsehen, und sagte „ernsthafte Turbulenzen“ voraus.« Während der „Euro-Krise“ war Barnier EU-Kommissar für den Binnenmarkt und hat die Turbulenzen nicht nur, aber vor allem um Griechenland intensiv mitbekommen. Er weiß, »was es bedeutet, wenn Investoren und Gläubiger an den globalen Finanzmärkten einem Staat wegen schlechter Haushaltsführung das Vertrauen entziehen.«

Am 04.12.2024 musste Barnier die Vertrauensfrage in der französischen Nationalversammlung stellen – und wie erwartet haben der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) und die linke Neue Volksfront die amtierende Minderheitsregierung mit einem Misstrauensvotum zu Fall gebracht. Vorgezogene Neuwahlen sind in Frankreich erst im Juli 2025 wieder möglich.

Damit hat sich das Land nach den von Macron herbeigeführten Neuwahlen im Sommer in eine Zwickmühle manövriert – und wird genau dafür von den Finanzmärkten abgestraft.

»Immer mehr Investoren blicken skeptisch auf Frankreich und verkaufen Bonds, die Kurse sinken, so dass gleichzeitig die Renditen auf zeitweise über drei Prozent gestiegen sind. Der Risikoaufschlag, der sogenannte Spread, zwischen französischen Staatsanleihen und Bundesanleihen kletterte bis auf 90 Basispunkte, so viel wie seit der Euro-Schuldenkrise 2012 nicht mehr.«

»Als sicherer Gradmesser für die Angst der Kapitalmärkte gelten Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS). Im Fall Frankreichs steigen diese aktuell, besonders für langlaufende Papiere. Für Anleihen mit 30-jähriger Laufzeit liegen die Prämien schon so hoch wie zur Pandemiezeit.«

»„Im Herzen Europas brennt die Hütte“, kommentieren die Analysten des auf Anleihen spezialisierten Vermögensverwalters Bantleon. Damit meinen sie nicht nur die taumelnde deutsche Wirtschaft, sondern auch Frankreichs Regierungs- und Schuldenproblem.«

Barniers Reformen in Form von Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sollten die ausufernden französischen Schulden eigentlich um 60 Milliarden Euro verringern – daraus wird nun wahrscheinlich nichts werden. Folge:

»Die Neuverschuldung dürfte deshalb bei 6,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen und damit weit weg von den von der EU geforderten drei Prozent. Die gesamte Verschuldung wird für 2025 auf 115 Prozent des BIP geschätzt, ebenfalls weit weg von den 60 Prozent, die in der EU als Obergrenze gelten.«

Dabei muss auf das schlechte Verhältnis von Haushaltsdefizit und Schulden hingewiesen werden. Länder wie Italien und Griechenland, deren Verhältnis von Schulden zum BIP das von Frankreich übersteigt, werden im Jahr 2024 besser abschneiden, denn beide Länder haben aktuell nur ein geringes Defizit.

Nun steht die Befürchtung im Raum, dass die Renditen in Frankreich noch deutlich steigen und das Land in eine Schuldenkrise treiben könnten.

Also angesichts des Gewichts der zweitgrößten Volkswirtschaft im Euro-Raum eine neue Währungskrise voraus? Darauf deuten doch diese Entwicklungen hin.

»Trotzdem ist die Situation längst nicht mit jener während der Euro-Schuldenkrise vergleichbar. Zur Erinnerung: Die Rendite für griechische Staatspapiere lag zwischenzeitlich bei mehr als 30 Prozent. Die Ratingagenturen hatten die Kreditfähigkeit Griechenlands längst auf Ramsch heruntergestuft.«

»Heute, da beide Länder am Anleihemarkt nahezu gleiche Renditen zahlen müssen, wird Frankreichs Bonität weiterhin mit AA- bewertet, Griechenland dagegen deutlich schlechter mit BBB-. Allerdings könnte sich der Abstand in Zukunft verringern. Je länger Frankreichs Haushaltskrise anhält, desto wahrscheinlicher wird es, dass die großen Ratingagenturen S&P oder Moody’s ihre Bonitätsnote überdenken. Wird die Kreditwürdigkeit herabgestuft, würde das die Anleiherenditen noch mal deutlich nach oben treiben. Noch allerdings, heißt es am Finanzmarkt, sei das nicht abzusehen.«

Ein Plus für Frankreich sind zweifelsohne die weiterhin stabil dastehenden Unternehmen. Und dann ist da ja noch diese Europäische Zentralbank (EZB): Angesichts der Probleme in den Euro-Kernländern wie Frankreich, aber auch Deutschland, werden weitere Zinssenkungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) immer wahrscheinlicher.

➔ »Zudem hat die EZB auch nach der Euro-Schuldenkrise einen vollen Instrumentenkasten. Im Rahmen ihres sogenannten „Transmission Protection Instruments“ (TPI) dürfte sie sogar unbegrenzt französische Staatsanleihen kaufen. Allerdings nur, wenn die Finanzierungsbedingungen sich ungerechtfertigt verschärfen und der Renditeanstieg ungeordnet stattfindet. Davon kann allerdings bisher keine Rede sein, es gilt an den Märkten deshalb bisher als unwahrscheinlich, dass die EZB dieses scharfe Schwert zücken muss.«

Fazit von Saskia Littmann:

Keine Panik also. Zumindest für den Moment.