Unsere Schwerpunktthemen, hier die Staatsverschuldung generell und dann die Schuldenbremse in Deutschland, bewegen viele. Und es wird durchaus viel darüber berichtet.
Zahlreiche Aspekte, die im Verlauf der Veranstaltung angesprochen wurden, finden Sie in der folgenden Hintergrund-Sendung des Deutschlandfunks – sogar Japan wird neben der „schwäbischen Hausfrau“ darin be- bzw. verhandelt. Und die Inflation taucht auch auf:
➔ DLF: Gute Schulden, schlechte Schulden: Wie Staaten auf Pump leben (05.01.2025)
Die knapp zwanzig Minuten sind gut investierte Zeit. Hören Sie bitte rein.
Die Auseinandersetzung über die Staatsverschuldung und den Umgang mit der Schuldenbremse hat letztendlich dazu geführt, dass die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP am 6. November 2024 auseinandergebrochen ist und wir am 23. Februar 2025 vorgezogen einen neuen Bundestag wählen (können).
Anfang Dezember 2024 erschien dazu auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung dieser Beitrag des Wirtschaftsjournalisten Henrik Müller:
➔ Wieviel Staatsschulden können wir uns leisten? (06.12.2024)
»Henrik Müller erklärt, was letzten Monat in der Wirtschaftspolitik wichtig war. Die deutsche Bundesregierung ist auch an der Schuldenbremse zerbrochen. Aber was besagt die überhaupt? Wie hoch ist Deutschland verschuldet? Und welche Gründe gibt es, Schulden zu machen?«
Es gibt Stimmen, die eine Reform der Schuldenbremse aufgrund der Neuwahl des Bundestages näher kommen sehen (denn jede neue Regierung wird vor der Frage stehen, wei man die allseits eingeforderten Investitionen denn finanzieren kann). Dazu dieser Beitrag des Deutschlandfunks:
➔ Deutschlandfunk: Kommt die Reform der Schuldenbremse? (05.12.2024): »Den einen gilt sie als Kern solider Haushaltspolitik, anderen hingegen als Ursache des Investitionsstaus in Deutschland: die Schuldenbremse im Grundgesetz. Im Bundestagswahlkampf deutet sich an, dass eine Reform näher rückt.«
Aus dem Lager der Kritiker der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Ausgestaltung sei hier aus einem Kommentar zitiert, der in der Tageszeitung „taz“ am Jahresende 2024 veröffentlicht wurde – und in dem ein Versuch unternommen wird, das Thema in einen volkswirtschaftlich größeren Rahmen einzuordnen (bei dem dann auch ein anderes unserer Schwerpunktthemen auftaucht: die angebliche oder tatsächliche Deindustrialisierung). Und natürlich China:
»Auf Deutschland kommen neue Zeiten zu: Seine Exportprodukte sind nicht mehr so gefragt wie früher. Andere Anbieter sind interessanter – vorneweg China. Zwei Zahlen illustrieren die Misere: Die Weltwirtschaft wuchs 2024 um 2,6 Prozent, während die Bundesrepublik einen Rückgang von 0,1 Prozent verzeichnete. Vom globalen Aufschwung hatten die Deutschen wenig. Besonders hart trifft es die klassischen Industriezweige – also den Maschinenbau und die Autobranche … Die deutschen Firmen leiden, weil die Chinesen aufholen. Diese bieten jetzt oft gleichwertige Produkte an – aber günstiger. Diese attraktiven Preise spiegeln die niedrigeren Löhne in China wider, aber nicht nur. Die Chinesen haben zudem einen strukturellen Wettbewerbsvorteil: Sie verfügen über einen Binnenmarkt mit 1,4 Milliarden Menschen. Ihre Unternehmen können also riesige Mengen direkt vor Ort absetzen – und entsprechend gigantische Werke bauen. Die Chinesen profitieren daher von enormen Skaleneffekten: Je mehr Stücke von einem Produkt hergestellt werden, desto günstiger wird die Ware. Die EU hat hingegen nur 449 Millionen Einwohner – und ist auch noch damit konfrontiert, dass der künftige US-Präsident Donald Trump mit Zollschranken droht. Bisher waren die chinesischen Skaleneffekte nicht bedrohlich, weil das Land lange Zeit vor allem Billigwaren herstellte, die sowieso keine deutsche Firma produziert hätte – etwa Weihnachtsmänner aus Plastik. Doch jetzt dringen die Chinesen auf die hochpreisigen Qualitätsmärkte vor, die bisher den angestammten Industrieländern gehörten.«
Soweit der erste Argumentationsschritt. Und dann merkt die Verfasserin an: Schrumpfende Exporte sind kein grundsätzliches Problem, sehr wohl aber eins in Deutschland, denn die gesamte deutsche Wirtschaft sei darauf ausgerichtet, dass die Ausfuhren ständig steigen. Die Binnenwirtschaft wurde vernachlässigt in der Hoffnung, Exporte würden alles richten.
Nun wird sich der eine oder andere fragen: Na gut, aber was hat das mit der Schuldenbremse zu tun? Lesen wir weiter – und jetzt wird die Kommentatorin parteipolitisch hinsichtlich ihrer Anklage:
»Bis heute verstehen FDP und Union nicht, warum Schulden gut sein sollen, wenn sie in Investitionen fließen. Dabei ist es schlicht: Investitionen lassen sich nur durch Kredite finanzieren. Müsste man immer erst sparen, bevor neue Maschinen angeschafft oder neue Produkte entwickelt werden, würde die Nachfrage einbrechen, weil ja gespart wird, sodass sich neue Maschinen gar nicht mehr rechnen.
Eigentlich einfach. Aber diese Zusammenhänge fallen nicht auf, jedenfalls nicht den selbst ernannten Wirtschaftsexperten in FDP und Union, weil es ja die Exportüberschüsse gibt, die die deutsche Wirtschaft am Laufen halten. Dieses Plus bedeutet letztlich, dass das Ausland jene Schulden aufnimmt, die Deutschland meidet. Ohne Kredite wäre es nämlich unmöglich, dass das Ausland ständig mehr in Deutschland einkauft, als wir umgekehrt erwerben. Denn woher sollten die anderen Länder das nötige Geld haben, wenn nicht durch Schulden?
Dieses seltsame Geschäftsmodell kommt nun langsam an sein Ende. Die Exporte schwächeln, und die deutschen Firmen verlieren den technologischen Anschluss. Der aktuelle Wahlkampf wäre eine gute Gelegenheit, um nach Lösungen zu suchen. Stichworte wären: Klimatechnologien, eine bessere Infrastruktur, Forschungsförderung. Diese Programme würden staatliches Geld kosten.«
Quelle: Ulrike Herrmann (2024): Schwarze Nullkommanull, in: taz Online, 27.12.2024
Nun sollte man Ausgewogenheit an den Tag legen und darauf verweisen, dass es durchaus andere Stimmen gibt, die das mit der Staatsverschuldung weitaus kritischer sehen und die auch die bestehende Schuldenbremse verteidigen. Als Beleg für diese Position verweise ich beispielhaft auf das folgende Interview, das schon etwas älteren Datums ist:
➔ Deutschlandfunk Kultur: Der Schluck aus der Schuldenpulle ist auf Dauer problematisch (01.12.2023): »Schulden zu machen hält Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl für ein gutes Instrument bei plötzlichen Großereignissen, nicht aber als Dauereinrichtung. Ausgaben verringern und Steuern erhöhen sei zwar schmerzhaft, aber nachhaltiger.«
Die Investitionsbedarfe sind auf alle Fälle sicher
Über die von ganz unterschiedlichen Seiten geschätzten enormen Investitionsbedarfe haben wir am Beispiel der gemeinsamen Ausarbeitung aus dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und dem arbeitgebernachen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sowie den Schätzungen des BDI gesprochen. Es sind enorme Summen, die da für Investitionen aufgebracht werden müssen.
Dazu auch diese Schätzung aus dem Dezernat Zukunft (hinter der Kritiker der Schuldenbremse stehen, auf deren Website man übrigens eine sehr gute Übersichtsdarstellung zur Schuldenbremse findet: https://schuldenbremse.info).
➔ Felix Heilmann et al. (2024): Was kostet eine sichere, lebenswerte und nachhaltige Zukunft? Öffentliche Finanzbedarfe für die Modernisierung Deutschlands, Berlin: Dezernat Zukunft, September 2014
»Diese Studie bildet die zusätzlichen öffentlichen Finanzbedarfe zur Erreichung breit akzeptierter Ziele in zentralen Zukunftsfeldern ab. Insgesamt schätzen wir über die föderalen Ebenen hinweg einen zusätzlichen Bedarf von 782 Milliarden Euro von 2025 bis 2030. Dieser Bedarf entspricht pro Jahr durchschnittlich circa 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Unsere Ergebnisse stehen im Einklang mit und ergänzend zu anderen in diesem Jahr veröffentlichten Bedarfsschätzungen. Die Notwendigkeit signifikanter zusätzlicher öffentlicher Finanzmittel für die Zukunftsfähigkeit und Modernisierung des Landes kann somit zunehmend als Konsens angesehen werden.«
Man kann es drehen und wenden wie man will – aber angesichts der Größenordnung der notwendigen Investitionen wird jede Partei gerade im Wahlkampf Antworten geben müssen, wie man denn diese notwendigen Ausgaben zu finanzieren gedenkt.
Stattdessen erleben wir gerade (erneut) einen Wahlkampf, bei dem einzelne Parteien Steuerentlastungen in einem teilweise dreistelligen Milliarden-Bereich versprechen – den Staat auf der Einnahmenseite reduzieren und gleichzeitig die Schuldenbremse wirken lassen, das kann nur in einem Totalausfall enden.