Sie hatten als ein Baustein in der Übungsveranstaltung den Arbeitsauftrag bekommen, in den Ihnen vorliegenden Wahlprogrammen der Parteien nachzuschauen, ob und was die zu unserem Schwerpunktthema Schuldenbremse sagen.
Der Streit um die Schuldenbremse hat zum Platzen der Ampelkoalition geführt und prägt auch die Wahlprogramme.
Eine grobe Zusammenfassung geht so: Bei Schuldenbremse und Haushaltspolitik liegen die Positionen der Parteien weiter auseinander: SPD und Grüne sehen Reformen der Schuldenbremse als Chance für Klimaschutz und Bildung, während Die Linke mit ihrer Abschaffung Milliarden Euro für soziale Projekte freimachen will. CDU/CSU und FDP setzen auf eiserne Haushaltsdisziplin, das BSW hingegen auf gezielte Ausnahmen für Infrastruktur. Die AfD will drastisch kürzen – vor allem bei Klimaprojekten, Entwicklungshilfe und EU-Beiträgen.
Schauen wir uns die einzelnen Parteien genauer an:
➔ CDU/CSU: Die Union bekennt sich klar zur Schuldenbremse: „Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen“, heißt es im Wahlprogramm. Zu Beginn der Legislaturperiode plant die Union einen „ehrlichen Kassensturz“, um sämtliche Ausgaben – insbesondere Subventionen – zu überprüfen und ineffiziente Posten zu streichen. CDU/CSU weisen eine Haftung Deutschlands für die Schulden anderer EU-Staaten zurück und drängen auf die strikte Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Parteien planen zudem, eine Insolvenzordnung für EU-Staaten einzuführen. EU-Haushaltsmittel sollen ausschließlich für Aufgaben mit Mehrwert für die EU ausgegeben werden. Mit einem jährlichen „Sozialstaatstragfähigkeitsbericht“ sollen Risiken in den Sozialkassen früh erkannt werden, damit Beiträge oder Leistungen rechtzeitig angepasst werden können. Außerdem will die Union Subventionen streichen, die den Wettbewerb verzerren, um so die Wirtschaft zu schützen.
➔ SPD: Die SPD hält an der Schuldenbremse fest, will diese aber reformieren, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Für Zukunftsprojekte wie Strom- und Wärmenetze, Ladesäulen und Wohnungsbau soll ein Deutschlandfonds eingerichtet werden, in den der Staat 100 Milliarden Euro kreditfinanziert einzahlt. Außerdem plant die SPD einen „Made in Germany“-Bonus: Investitionen in Maschinen und Geräte sollen mit zehn Prozent der Anschaffungssumme über eine Steuererstattung gefördert werden. Zur Finanzierung fordert die SPD eine stärkere Beteiligung der reichsten Vermögen, zum Beispiel durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und Reformen bei Erbschafts- und Schenkungssteuern. Die SPD setzt sich für eine Reform der Notlagenregelung ein, damit der Staat in Krisenzeiten flexibler und langfristig handlungsfähig bleibt. Auch die Tilgung von Schulden soll gerechter werden, um zukünftige Haushalte nicht übermäßig zu belasten.
➔ Bündnis ’90/Die Grünen: Die Grünen schlagen eine Reform der Schuldenbremse vor, damit mehr Geld für dringend notwendige Investitionen zur Verfügung stehen. Sie planen ebenfalls einen Deutschlandfonds, um in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz zu investieren. Bund, Länder und Kommunen sollen davon profitieren, indem sie Projekte wie die energetische Sanierung von Schulen, den Ausbau des Schienennetzes und Investitionen in Forschung finanzieren. Während Löhne und andere regelmäßige Kosten, sogenannte konsumtive Ausgaben, weiterhin streng geregelt bleiben sollen, möchte die Partei für wichtige Zukunftsprojekte, wie den Ausbau von Schulen, Kitas oder Schienen, die Möglichkeit schaffen, Kredite zu nutzen. So sollen Investitionen erhöht und die Gesamtverschuldung langfristig tragfähig bleiben. Der Haushalt soll entlastet werden, indem mehr Geflüchtete und mehr Bürgergeldbezieher arbeiten sollen. Außerdem wollen die Grünen die Verwaltung durch weitere Digitalisierung verschlanken und klima- und umweltschädliche Subventionen abbauen.
➔ FDP: Die Freien Demokraten sehen die Einhaltung der Schuldenbremse als Voraussetzung für Generationengerechtigkeit. Künftige Generationen sollen vor Schuldenbergen geschützt werden, argumentiert die Partei in ihrem Wahlprogramm. Deutschland müsse als Stabilitätsanker in Europa ein Vorbild sein und ausufernde Staatsschulden vermeiden, da diese die europäische Stabilität gefährden könnten. Außerdem lehnen die FDP neue Schulden auf EU-Ebene ab und fordert, dass der EU-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ eine Ausnahme bleibt. In Deutschland möchte die Partei Subventionen reduzieren und Staatsbeteiligungen veräußern, da sie private Investoren für geeignetere Unternehmer hält. Die eingesparten Mittel sollen zum Beispiel verstärkt in Bildung fließen, da die FDP diese als langfristig sinnvolle Investition betrachtet.
➔ Die Linke: Die Linke fordert die Abschaffung der Schuldenbremse, da diese nach Ansicht der Partei Investitionslücken in der Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen verursacht hat. Allein in den kommenden zehn Jahren müsse Deutschland rund 600 Milliarden Euro zusätzlich investieren, um Infrastruktur, Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen, heißt es im Programmentwurf. Die Schuldenbremse soll durch eine „Goldene Regel“ ersetzt werden, die Investitionen über Kredite ermöglicht. Bildung, Soziales und öffentlicher Wohnungsbau werden dabei priorisiert. Ausgaben für Rüstung und klimaschädliche Subventionen sollen hingegen gekürzt werden. Die Linke will Länder und Kommunen bei Investitionen stärken, indem ihnen Einnahmen aus der Vermögensteuer zufließen. Die Partei fordert auch eine Gemeindefinanzreform und einen Altschuldenfonds zur Entlastung überschuldeter Kommunen.
➔ Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW): Das BSW will die Schuldenbremse reformieren. Der Vorschlag der Partei: Investitionen in zentrale Bereiche wie Brücken, Straßen, Schienen, Schulen, Wohnraum und Netze sollen von der Schuldenbremse ausgenommen werden, um den Investitionsstau zu beheben und den Verfall der Infrastruktur zu stoppen. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern fordert das BSW mehr Fachkompetenz in Ämtern, weniger Lobbyeinfluss und stärkere Bürgerbeteiligung. Die Partei will auch die kommunale Selbstverwaltung stärken und fordert eine gerechte Altschuldenlösung für Kommunen. Das Ziel sei es, gleiche Bedingungen in städtischen und ländlichen Regionen zu schaffen. Auf europäischer Ebene kritisiert das BSW, dass viele bürokratische Belastungen aus EU-Recht stammen. Außerdem fordert die Partei, Unternehmen übermäßig belastende EU-Auflagen nicht mehr in nationales Recht zu übernehmen.
➔ AfD: Die AfD ist für die Einhaltung der Schuldenbremse. Deutschland habe „kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem“, wie die Partei in ihrem Wahlprogramm schreibt. Zur Haushaltskonsolidierung fordert die als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte AfD eine umfassende Überprüfung und Reduzierung staatlicher Ausgaben. So plant die Partei, Subventionen und Förderprogramme für Klimaschutz und die EEG-Umlage zu streichen. Weitere Einsparmöglichkeiten sieht die Partei unter anderem darin, Projekte der Entwicklungshilfe auf ein Minimum zu reduzieren. Außerdem will die AfD die Zuwendungen an Nichtregierungsorganisationen kürzen und die hohen Beitragszahlungen Deutschlands an die Europäische Union – derzeit bei knapp 30 Milliarden Euro jährlich – senken. Diese Mittel sollen verstärkt für soziale Sicherheit und Infrastruktur in Deutschland genutzt werden. Die Partei setzt zudem auf eine Vereinfachung des Steuerrechts, um die Verschuldung langfristig abzubauen
Quelle: Wahlprogramme: Schuldenbremse und Haushaltspolitik, in: Deutschlandfunk Online, 13.01.2024
Und noch ein Nachtrag zur Schuldenbremse vor dem Hintergrund der erforderlichen Ausgewogenheit der Darstellung dieses Instrumentariums
Sie haben in der Vorlesung zahlreiche Kritikpunkte und Reformvorschläge die bestehende Schuldenbremse betreffend lernen können. Auch Ihr Dozent steht dem gegebenem Regelwerk eher kritisch gegenüber, das ist sicher an der einen oder anderen Stelle deutlich geworden, vor allem bei der Behandlung des Themas, welchen (enormen) Investitionsbedarf wir haben, der ja irgendwie finanziert werden muss.
Aber es muss immer auch darum gehen, möglichst alle unterschiedlichen Perspektiven auf die Schuldenbremse darzustellen. Das gehört zur wissenschaftlichen Redlichkeit. In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich das bereits versucht, in dem ich dort beispielsweise das Interview mit einem Wirtschaftshistoriker verlinkt habe, der das eher positiv sieht.
Und diesen Zugang abrundend möchte ich Sie hier auf einen Beitrag aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) hinweisen, als das Ministerium noch unter Leitung von Christian Lindner (FDP) stand – und der war und ist ja ein fast schon glühender Befürworter der Schuldenbremse. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie bitten, einen Blick in diese Argumentation zu werfen:
➔ Bundesfinanzministerium (2024): Schuldenbremse – Mythos und Realität, in: BMF-Monatsbericht, April 2024
»Im Jahr 2024 feiert die im Grundgesetz verankerte Schuldenregel – die sogenannte Schuldenbremse – ihr 15-jähriges Bestehen. Seit dem Jahr 2009 ist für Bund und Länder nach einer Übergangszeit gemeinsam der Grundsatz des ausgeglichenen Haushalts verankert. Das Ziel der Schuldenbremse ist es, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zu gewährleisten.
Die Schuldenbremse schiebt der „Defizitneigung“ der Politik einen Riegel vor. Sie sorgt dafür, dass gute Zeiten zur Konsolidierung der Staatsfinanzen genutzt werden und der Gegenwartspräferenz der Politik Grenzen gesetzt werden.
Um die Schuldenbremse ranken sich inzwischen zahlreiche Mythen – allen voran, dass sie Innovationen und Investitionen, Wachstum oder Steuersenkungen verhindern würde. Dieser Artikel blickt auf die Erfolge der Schuldenbremse im Kontext dieser Mythen.«