Austerität? Was muss man sich darunter vorstellen?

Ich hatte Ihnen in der vergangenen Woche einen Arbeitsauftrag mit auf den Weg gegeben. Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion über die These, Deutschland bzw. die deutsche Volkswirtschaft sei nun (erneut) der „kranke Mann Europas“ habe ich Ihnen neben einem Text des Würzburger Volkswirt Peter Bofinger („Germany’s true economic disease“) auch einen Artikel des Wirtschaftsjournalisten André Kühnlenz („Deutschland rutscht in die Austeritätsfalle“) zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Aber was ist Austerität? Eine kurze Abfrage am Ende der Veranstaltung hatte ergeben, dass die meisten mit diesem Begriff nichts anfangen können. Vor diesem Hintergrund an dieser Stelle einige Erläuterungen, was man sich unter Austerität und Austeritätspolitik vorstellen muss.

»Aus dem Englischen importiert, war der Begriff der Austerität bis vor wenigen Jahren nur Eingeweihten bekannt. Seit Ausbruch der Finanz- und Eurokrise hat er den Sprung in die politische Alltagssprache geschafft. Mit Austerität wird eine Wirtschaftspolitik bezeichnet, die jährliche Haushaltsdefizite begrenzt bzw. abbaut. Durch die Kürzung von Löhnen, Preisen und öffentlichen Ausgaben sollen private Investitionen erleichtert und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erhöht werden.« So beginnt das Vorwort zu diesem Sammelband:

➔ Roland Sturm, Tim Griebel und Thorsten Winkelmann (Hrsg.) (2017): Austerität als gesellschaftliches Projekt. Zwischen Theorie und Praxis, Wiesbaden 2017*

*) Sie können den Sammelband über Springer Link im Hochschulnetz als E-Book herunterladen, wenn es Sie interessiert.

Und weiter können wir dort lesen: »Ob die Sparpolitik dieses Ziel erreichen kann, wird unterschiedlich bewertet. Die Befürworter sehen in ihr die einzige Möglichkeit, aus dem Teufelskreis von fehlender Kreditwürdigkeit, steigenden Staatsschulden und mangelnder Investitionstätigkeit herauszukommen. Die Kritiker halten dagegen, dass die Sparmaßnahmen die Krise sogar noch verschärften, indem sie Konjunktur und Wachstum abwürgten.«

Es wird darauf hingewiesen, dass das Für und Wider um die Sparpolitik heute vor allem auf der europäischen Bühne verhandelt wird. Die Konfliktlinien werden eher durch den Gegensatz zwischen den stabilitätsorientierten Volkswirtschaften im Norden der Eurozone und den krisengeschüttelten Südländern bestimmt als durch den Gegensatz zwischen angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik. »Weil die gemeinsame Währung den wirtschaftlich schwächeren Südländern die Möglichkeit genommen hat, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine Anpassung des Wechselkurses zu verbessern, erscheint der Austeritätskurs zumindest aus Sicht der leistungsstärkeren Länder im Norden „alternativlos“; im Süden wird er als Mangel an europäischer Solidarität und Fremdbestimmung durch Brüssel oder Berlin wahrgenommen.«

Sturm, Griebel und Winkelmann führen dann in der Einleitung zu dem Sammelband aus, dass man vier unterschiedliche Argumentationsrichtungen unterscheiden kann. Die wiederum unterscheiden sich dahingehend, ob sie systemisch, also vor dem Hintergrund der Logik des bestehenden Wirtschaftssystems oder systemkritisch argumentieren, d. h. bei der Diskussion von Austerität wird die politökonomische Ordnung selbst in Frage gestellt.

➔ 1. »Aufseiten systemischer Ansätze umschreibt Austerität – erstens – eine staatliche Haushaltspolitik, die ohne Neuverschuldung auskommt, und zumindest mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt erreichen will. Mit der sogenannten Schwarzen Null sind unterschiedliche kontextabhängige Folgen verbunden, die von Steuererhöhungen über Ausgabenkürzungen bis hin zum Rückbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen reichen können. Um die verloren gegangene staatliche Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und Wirtschaftswachstum zu erzeugen …, seien derartige Kürzungen unvermeidlich, da eine geringere staatliche Kreditnachfrage inflationäre Tendenzen minimiere und zur Erhöhung des Außenwerts der jeweiligen Währung beitrage; kurzum: die Solidität des Staates (auch in den Augen internationaler Ratingagenturen) werde so verbessert.«

➔ 2. »Ebenfalls als systemischer Ansatz lässt sich die zweite Deutung von Austerität als Tugend „guter“ Regierungsführung verstehen. Sie verweist darauf, dass Sparanstrengungen von sich aus selbst in Jahren wirtschaftlicher Prosperität bereits gerechtfertigt sein können … .«

➔ 3. »Als eigenständiger systemischer, gleichwohl von der Literatur weitgehend vernachlässigter Argumentationsstrang kann Austerität – drittens – auch im Licht der Nachhaltigkeit gesehen werden … Ohne an dieser Stelle auf die ethischen Grundlagen von Nachhaltigkeit eingehen zu können, engen, so die Logik dieser Lesart, die gegenwärtigen Verschuldungstatbestände die Handlungsspielräume kommender Generationen ein. Derartige intertemporale Lastenverschiebungen, die mit Austerität vermieden werden sollen, haben in der Wissenschaft noch keine nennenswerte Resonanz gefunden.«

Von den bisherigen drei Argumentationssträngen lassen sich systemkritische Lesarten von Austerität unterscheiden, die mehr oder minder stark die bestehe politökonomische Ordnung hinterfragen:

➔ 4. »So wird Austerität – viertens – … als neuer neoliberaler Versuch gewertet, die Gesellschaft weiter nach den Kriterien des freien Marktes zu ordnen und das Primat der Politik zugunsten des Finanzmarktes und seiner Akteure auszuhöhlen. Dadurch stelle Austerität auch einen Frontalangriff auf den Wohlfahrtsstaat dar, denn von den Einschnitten sind vor allem die sozial Schwächeren betroffen. Folglich rüttele Austerität an den Grundfesten des Sozialstaates und der Demokratie, werden doch bestehende Verteilungslogiken hinterfragt bzw. konterkariert … Neben der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten werden die sozialen Folgen von Austerität auch im Erfolg extremistischer/populistischer Parteien gesehen … Als Alternative zur Logik von Austeritätsmaßnahmen sind innerhalb der systemkritischen Ansätze keynesianische Argumentationsmuster prominent vertreten. So würden Kürzungen staatlicher Ausgaben in der gegenwärtigen Eurokrise die Wirtschaftskraft zusätzlich schwächen und so die Krise vertiefen, weshalb stattdessen expansive geld- und haushaltspolitische Maßnahmen sowie ein steuerinduzierter Konsum, also das Gegenteil von Austerität, zur Überwindung der Krise erforderlich seien, andernfalls drohe die Gesamtnachfrage, gespiegelt in Produktion und Beschäftigung, zu sinken … Nur sogenanntes Deficit Spending, also Konjunkturmilliarden und Zentralbankbillionen, könne eine Depression wie Anfang der 1930er Jahre vermeiden.«

Wenn man sich die vier unterschiedlichen Ansätze anschaut, dann wird deutlich, dass es hier nicht nur um Sachfragen, sondern auch um (divergierende) normative Anschauungen geht.

Wie kann man Austeriätspolitik kurz beschreiben. Dazu ein Vorschlag aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin:

»Austeritätspolitik bezeichnet ein Set an wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit dem Ziel einen ausgeglichenen Staatshaushalt herzustellen und eine Staatsschuldenreduktion herbeizuführen. Dies beinhaltet einerseits eine strenge staatliche Sparpolitik mit Kürzungen beispielsweise bei Sozialleistungen, Investitionen oder Beamtengehältern.
Aber auch Steuererhöhungen zählen zu den austeritätspolitischen Maßnahmen. Oft wird beides in Kombination eingesetzt.
Das Wort „Austerität“ hat seinen Ursprung im Lateinischen und bedeutet so viel wie Strenge, Härte oder Nüchternheit.«