Die EU der 27, die Schulden – und eine europäische Schuldenbremse?

Wie sieht es aus mit der Entwicklung der Staatsverschuldung in der heterogenen EU der 27 Mitgliedsstaaten? Die folgende Tabelle zeigt Ihnen die Entwicklung der Schuldenstandsquoten von 2020 bis einschließlich 2023 (konsolidierte Bruttoschulden in Prozent des Bruttoinlandsproduktes):

Zu der aktuellen Entwicklung der Staatsverschuldung in EU: »Der Großteil der EU-Länder gab 2023 mehr aus als er einnahm. Elf der Mitgliedsstaaten rissen den Grenzwert für Haushaltsdefizite, Deutschland nicht. Bei der Schuldenquote liegt die Bundesrepublik aber noch über der Obergrenze«, kann man diesem Artikel entnehmen: Mehrere Mitglieder brechen EU-Schuldenvorgaben.

Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung schreibt zu der allgemeinen Entwicklung der Staatsverschuldung in der EU bis einschließlich der Corona-Pandemie 2020/2021:

»Infolge der globalen Finanzkrise ist der Schuldenstand in den europäischen Volkswirtschaften deutlich angestiegen: In den EU-27 stiegen die Schulden zwischen 2008 und 2010 von 65,0 auf 80,5 Prozent des BIP und bis 2014 weiter auf 86,6 Prozent. Im Rahmen dieser zunehmenden Staatsverschuldung sind einige kleinere und stark verschuldete Länder Europas zunehmend in Bedrängnis geraten. In Frankreich blieb die Staatsverschuldung seither beispielsweise konstant bei über 95 Prozent, in Italien bei über 130 Prozent, und in Griechenland gar bei mehr als 180 Prozent des BIP.

Insgesamt ging bis 2019 die Staatsschuldenquote in den EU-27 allerdings auf 77,5 Prozent zurück. Einigen Ländern, wie Deutschland oder den Niederlanden, ist es sogar gelungen, ihre Verschuldung in Relation zum BIP auf ein geringeres Niveau als vor der Finanzkrise zurückzuführen. Dennoch hatten viele Staaten Europas vor der Coronakrise noch eine höhere Staatsschuldenquote als vor Beginn der Finanzkrise.

Die Corona-Pandemie führte zu einem erheblichen wirtschaftlichen Einbruch und einem Anstieg staatlicher Hilfs- und Stützungsmaßnahmen. Die Verschuldung hat dadurch in vielen Ländern drastisch zugenommen. In Deutschland wird die Staatsschuldenquote voraussichtlich von knapp 60 auf mindestens 75 Prozent des BIP steigen, in Frankreich auf knapp 120 Prozent, in Italien auf knapp 160 Prozent und in Griechenland auf Werte über 200 Prozent.«

Ist das nun schlecht?

»Staatsschulden sind jedoch nicht per se schlecht. Tatsächlich sind Staatsschulden ein wichtiges Instrument der Finanzpolitik und sie zu erhöhen, ist in der Krise richtig. Durch den gezielten Einsatz von Staatsschulden können Wirtschaft und die Einkommen gestützt und ein größerer wirtschaftlicher Einbruch vermieden werden.

Gleichzeitig ist es wichtig, nach der Krise rechtzeitig wieder umzusteuern. Derzeit erlauben es niedrige, teils sogar negative Zinsen, mit hohen Staatsschulden zu leben, ohne dass die öffentlichen Haushalte durch Zinszahlungen überlastet werden. Hinzu kommt, dass viele Investoren in der Krise sichere Anlagemöglichkeiten suchen, zu denen Staatsanleihen zumindest der finanziell stabileren Länder in Europa gehören. Die niedrigen Zinsen bleiben jedoch nur bestehen, solange die Gläubiger das Vertrauen haben, ihr Geld sicher zurückzuerhalten.«

Wie kann man die unterschiedlichen Schuldenquoten der EU insgesamt und darunter der Euro-Länder für den Zeitraum 2020 bis einschließlich 2023 statistisch zusammenfassend beschreiben mit Blick auf den Euro-Raum und die EU insgesamt?*

*) Die Tabelle liegt Ihnen in diesem Beitrag als Abbildung vor. Bitte gehen Sie auf die Seite von Eurostat, der europäischen Statistik-Behörde, und suchen Sie dort für den entsprechenden Zeitraum nach einer Tabelle, die Sie im Excel-Format herunterladen (können) und machen Sie dann Ihre Berechnungen direkt in Excel.

Warum kann die gleiche Schuldenstandsquote heute eine ganz andere Belastung sein als vor ein paar Jahren? Begründen Sie Ihre Einordnung.

➔ Bitte bewerten Sie die dargestellten Schuldenstandsquoten der Euro- und EU-Länder vor dem Hintergrund der „europäischen Schuldenbremse“, die im Vorfeld der Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung installiert wurde. Erläutern Sie dann in einem zweiten Schritt, was die „europäische Schuldenbremse“ von der deutschen Schuldenbremse im Kern unterscheidet.

Neue Regeln für die Staatsverschuldung auf der Ebene der EU

»Das Europäische Parlament hat neue Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden beschlossen. Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für ein Reformpaket, das hoch verschuldeten Ländern mehr Spielraum für Investitionen geben soll«, so dieser Artikel, der am 23. April 2024 veröffentlicht wurde: Europaparlament beschließt Reform der EU-Schuldenregeln. »Zugleich sollen die neuen Regeln die Staaten allerdings dazu zwingen, hohe Schulden schneller abzubauen. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten monatelang über die neuen Regeln verhandelt.«

»Grundsätzlich soll in der EU unter den neuen Vorschriften auch weiterhin gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedsstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem soll das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit – also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts – unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehalten werden.«

Verschuldete Länder bekommen mehr Zeit zum Schuldenabbau

»Hoch verschuldete Länder mit einem Defizit von mehr als 90 Prozent des BIP sollen ihre Schuldenquote jährlich um einen Prozentpunkt senken müssen, Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozentpunkte.«

Hinzu kommt: »Mit der Reform bekommen die Regierungen allerdings mehr Spielraum und sollen etwa selbst Pläne vorlegen, wie sie ihre Schulden in den kommenden Jahren abbauen wollen. Dafür bekommen sie bis zu sieben Jahre Zeit, deutlich mehr als bislang. Davon könnten mehrheitlich hoch verschuldete Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich profitieren.«

Bitte lesen Sie auch diesen Beitrag:

➔ Florian Schuster und Max Krahé (2024): Die neuen EU-Fiskalregeln – kurz erklärt (25.04.2024)

Das hat Befürworter und Gegner. Dazu aus dem Artikel Wie die neuen EU-Schuldenregeln aussehen, der am 29. April 2024 veröffentlicht wurde: »Bundesfinanzminister Christian Lindner … ist zufrieden. Deutschlands zentrales Anliegen – „finanzpolitische Stabilität“ – finde sich in den Gesetzestexten wieder, sagte der FDP-Politiker jüngst. „Wir bekommen klare Regeln für den Schuldenabbau, die dann auch mit einer realistischen Perspektive durchgesetzt werden können.“ Auch die christdemokratische EVP-Fraktion im Europaparlament sprach sich für die Reform aus. Das neue Regelwerk schaffe mehr Klarheit und stelle die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides Fundament, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher und CSU-Abgeordnete Markus Ferber.
Kritiker betonten schon vor der Reform stets, dass die Schuldenrgeln nötigen Investitionen etwa in Klimaschutz oder in den sozialen Bereich die Luft abschnürten. Eine Analyse vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) war Anfang April zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Einhaltung der geplanten Regeln ab 2027 nur noch Dänemark, Schweden und Irland in der Lage seien, sich notwendige Ausgaben zu leisten. Auch in Deutschland würden demnach Investitionen stark gehemmt, hieß es. Die Grünen im Europaparlament sehen daher auch die Reform sehr kritisch. Sie werde den Bedürfnissen der Zeit nicht gerecht, sagte die Europaabgeordnete Henrike Hahn.«

Zu den Argumenten der Gegner bzw. Kritiker vgl. diese Beiträge: Reform der EU-Schuldenregeln: Experten warnen vor schädlichen Sparmaßnahmen und Weniger Geld für Klima und Soziales. Und eine ganz andere Kritik sieht so aus: Gescheiterter Stabilitätspakt.