Wie (nicht) weiter mit der Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse in Deutschland ist unter Beschuss von mehreren Seiten. Dazu einiges Material aus der neueren Diskussion. Aber auch die Verteidiger der Schuldenbremse versuchen sich Gehör zu verschaffen.

Beginnen wir mit einer Auffrischung dessen, was hinter dieser Regelung steht und was an möglichen Veränderungen vorgeschlagen wird:

Was ist eigentlich diese „Schuldenbremse“? Und seit wann gibt es die? Um diese und andere Fragen zu beantworten können Sie beispielsweise auf diese Seite gehen und sich eine umfassende Übersicht verschaffen:

➔ Die deutsche Schulden­bremse: Die Auswirkungen der Schuldenbremse auf Haushalt, Bildung, Infrastruktur und Gesellschaft sind gewaltig. Trotzdem verstehen sie nur wenige. Und Fachleute zweifeln, ob sie wirklich zukunftsfest ist. Ein Erklärungsversuch inklusive Reformvorschlag.

Sie finden dort 
➞ Wie die Schuldenbremse in das Grundgesetz kam
➞ So funktioniert die Schuldenbremse
➞ Eine bessere Schuldenbremse ist möglich

Bitte beachten Sie: Die Seite ist ein Angebot des Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen. Dort arbeiten Kritiker und Gegner der Schuldenbremse. Das beeinflusst natürlich die Art und Weise der Darstellung. 

Sie haben es schon wieder getan – zuerst 2019 und nun im Mai 2024. Ökonomen aus dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) – und das ist wirklich ziemlich einmalig – haben sich gemeinsam zu Wort gemeldet nicht nur mit der Berechnung der Investitionsbedarfe für de kommenden zehn Jahre, sondern auch mit einem deutlichen Plädoyer für einen „flexiblen“ Umgang mit der Schuldenbremse im Sinne einer Reform der bestehenden Regeln, denn diese Investitionen müssen angesichts der Haushaltslage und des Volumens an notwendigen Investitionen über Kredite, also Verschuldung, finanziert werden.

Hier finden Sie eine kurze Zusammenfassung dessen, was heute veröffentlicht wurde:

➔ 600 Milliarden Euro für die Infrastruktur? (14.05.2024): »Führende Wirtschaftsinstitute fordern zusätzliche Schulden in Milliardenhöhe, um die marode Infrastruktur in Deutschland zu sanieren. Dafür sei eine Reform der Schuldenbremse dringend erforderlich.« 

Und hier das Original aus diesem Jahr und ergänzend die ursprüngliche Studie aus dem Jahr 2019:

➔ Sebastian Dullien et al. (2024): Herausforderungen für die Schuldenbremse. Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation. IMK Policy Brief Nr. 168, Düsseldorf: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Mai 2024
»Im Jahr 2019 hatten Bardt et al. (2019) erstmalig eine umfassende Schätzung der in der damaligen Haushaltsplanung nicht abgedeckten öffentlichen Investitionsbedarfe in Deutschland vorgelegt und hatten diese Bedarfe dabei auf rund 460 Mrd. Euro über zehn Jahre beziffert. Die vorliegende Arbeit aktualisiert diese ursprüngliche Schätzung. Dabei werden unter anderem in der Zwischenzeit gestiegene Preise, veränderte demografische Aussichten, verschärfte Anforderungen an Dekarbonisierung und den Umbau der Energieversorgung sowie bereits umgesetzte Investitionen berücksichtigt. Als konservative Schätzung für die derzeit noch bestehenden zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarfe über die kommenden zehn Jahre ergibt sich damit eine Summe von knapp 600 Mrd. Euro. Aufgrund ebenfalls gestiegener und in dieser Summe nicht enthaltener Finanzbedarfe für Verteidigung ist diese Summe nicht realistisch im Rahmen der bestehenden Haushalte finanzierbar. Zugleich wird aber auch bei einer etwas höheren Neuverschuldung die deutsche Schuldenquote absehbar weiter fallen. Damit bleibt die Empfehlung aus Bardt et al. (2019) intakt, diese Bedarfe durch zusätzliche Kreditaufnahme abzudecken.«

➔  Hubertus Bart et al. (2019): Für eine solide Finanzpolitik – Investitionen ermöglichen!. IMK-Report Nr. 152, Düsseldorf: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), November 2019
»Die öffentliche Hand in Deutschland hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten die eigenen Investitionen massiv vernachlässigt. Das Ergebnis ist ein öffentlicher Kapitalstock, der den Anforderungen einer modernen Volkswirtschaft nicht gerecht wird und unzureichend ist, um den Herausforderungen der durch den anstehenden demografischen Wandel und der – international zugesagten – Dekarbonisierung zu begegnen. Rechnet man die Erfordernisse in den Bereichen Bildung, Verkehr, Kommunikationsnetze und Dekarbonisierung zusammen, so kommt man auf zusätzlich notwendige rund 450 Mrd. Euro € an öffentlichen Investitionen oder öffentlicher Investitionsförderung über die kommenden 10 Jahre, also rund 45 Mrd. Euro € pro Jahr.
Diese Summe ist volkswirtschaftlich gut zu schultern. Es ist aber unrealistisch, diese Investitionen allein durch Umschichtung in den bestehenden Haushalten zu finanzieren. Deshalb sollten die Schuldenregeln im Grundgesetz um eine goldene Regel erweitert werden, die eine Kreditaufnahme im Umfang der Nettoinvestitionen erlaubt. Bis zur Umsetzung einer solchen Regel sollten Spielräume, etwa durch Extrahaushalte, genutzt werden. Wichtig ist darüber hinaus eine nachhaltige Entschuldung der Kommunen, die eine zentrale Rolle für öffentliche Investitionen, insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur spielen.«

Und aus der Bertelsmann Stiftung kommen diese Papiere:

➔ Thieß Petersen et al. (2024): Deutsche Schuldenbremse auf dem Prüfstand, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Mai 2024
»Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem November 2023 hat die Frage der Finanzierung wichtiger gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen wie die der ökologischen Transformation erneut in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gebracht. Wieder einmal stellt sich damit auch die Frage nach der Angemessenheit und Zukunftsfähigkeit der deutschen Schuldenbremse, die die Neuverschuldung des Bundes- und der Länderhaushalte grundgesetzlich regelt. Unser neues Focus Paper führt einige grundlegende Überlegungen zu den Chancen und Risiken höherer staatlicher Verschuldung zusammen, bettet sie in den aktuellen Kontext ein und gibt Handlungsempfehlungen für die Politik.«

➔ Marcus Wortmann und Thieß Petersen (2024): Mehr Spielraum für investive Staatsausgaben schaffen, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Mai 2024
»Das Verfassungsgerichtsurteil zur Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds aus dem November 2023 hat die Diskussion um die Angemessenheit der deutschen Schuldenbremse wieder ganz nach oben auf die politische Agenda gebracht. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Frage, ob dem deutschen Staat genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um den großen Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können. Tatsächlich dürften die Bedarfe für investive Staatsausgaben die laufenden Haushalte bei Einhaltung der aktuellen Schuldenbremse überfordern. Eine Reform sollte deshalb mehr Raum für Schuldenfinanzierung schaffen, ohne dadurch die langfristige Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen zu gefährden.«

Sie sehen an den neuen Materialien – die Debatte über eine wie auch immer geartete Reform der Schuldenbremse ist voll entbrannt. Bereits aus dem Februar dieses Jahres stammt dieser Beitrag aus dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft:

➔ Schuldenbremse: Flexiblere Regelungen möglich (15.02.2024)
»Um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu umgehen, hat die Politik zuletzt kreativ mit Notlagen und Sondervermögen gearbeitet. Nun hat das Bundesverfassungsgericht das Verschieben von Mitteln in andere Jahre für andere Zwecke untersagt. Seitdem ist die Debatte um die Daseinsberechtigung der Schuldenbremse neu entbrannt. Dabei gibt es mehr Optionen als Abschaffen oder Beibehalten.«

Und selbst vom Internationalen Währungsfonds (IWF) kommen Hinweise an die Bundesregierung, die Schuldenbremse zu lockern:

➔ Der IWF empfiehlt, die deutsche Schuldenbremse zu lockern (28.05.2024)
Darin heißt es: »Angesichts der dringend notwendigen Investitionen in den klimagerechten Umbau des Landes, in die Digitalisierung, den Ausbau der Kinderbetreuung und die Beseitigung anderer Arbeitshemmnisse sowie massiv steigender Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung, bekräftigt der Fonds einmal mehr die Ansicht, dass die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse „moderat gelockert“ werden sollte.«

Und aus der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, einem Zusammenschluss linker, gewerkschaftsnaher Ökonomen kommt dieser Beitrag:

➔ Rudolf Hickel (2024): Schuldenbremse lösen, in: Frankfurter Rundschau Online, 02.06.2024: »Nötig ist ein Entwicklungsschub durch ein Sondervermögen für Transformation.«

Und diese Tage hat sich eine Gruppe von Ökonomen, die (eigentlich) ganz nah sein sollten am Ohr des Bundeskanzlers, zu Wort gemeldet: Es handelt sich um den Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsforums der SPD (also der Kanzler-Partei). Die haben dieses Positionspapier veröffentlicht:

➔ Wissenschaftlicher Beirat des Wirtschaftsforums der SPD (2024): Raus aus der Selbstblockade – Standort stärken – Transformation gestalten, Juni 2024

Aus der Tageszeitung „taz“ dieses Interview mit Michael Hüther – der nicht linke Positionen vertritt, sondern Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist:

➔ „Investieren in den Klimaschutz“ (04.06.2024)
Der Ökonom Michael Hüther fordert den Ausbau von Infrastruktur und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft. Dafür müsse die Schuldenbremse ausgesetzt werden.

Die andere Seite

Aber es gibt natürlich auch das andere Lager, also diejenigen, die von der bestehenden Schuldenbremse nicht lassen wollen. Hier ein Beispiel für die Argumentation aus deren Reihen, veröffentlicht von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung:

➔ Karl-Heinz Paqué (2024): Das Missverständnis 
»Eine Aufweichung der Schuldenbremse könnte die Kreditspielräume für Investitionen verringern statt vergrößern. Entscheidend ist die Bonität des Staates.«

Die FDP-Stiftung hat dazu ein Auftragsgutachten anfertigen lassen (u.a. von Lars P. Feld, dem volkswirtschaftlichen Berater des Bundesfinanzministers Christian Lindner) und dieses Gutachten finden Sie hier:

➔ Lars P. Feld et al. (2024): Die Schuldenbremse. Ein Garant für nachhaltige Haushaltspolitik. Studie im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Potsdam-Babelsberg, April 2024
»Über die Schuldenbremse im deutschen Grundgesetz wird immer wieder emotional diskutiert. Die erste empirische Untersuchung ihrer Wirkung soll zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Zu den Ergebnissen zählt die Erkenntnis, dass sich keine negative Wirkung der Schuldenbremse auf die Höhe der öffentlichen Investitionen nachweisen lässt. Zudem hat die Schuldenbremse ursächlich zur Haushaltskonsolidierung beigetragen: Ohne ihre Einführung läge der Schuldenstand des Bundes rund 20 Prozentpunkte höher. Zudem hätten die Zinskosten im Zeitraum 2011-2021 durchschnittlich um 0,46% über den tatsächlichen Zinskosten des Bundes gelegen.«