Eine Aktualisierung zum Thema Deindustrialisierung und der Blick auf den Arbeitsmarkt

Wir haben uns mit unterschiedlichen Indikatoren beschäftigt, die innerhalb der Debatte, ob wir in Deutschland mit einer Deindustrialisierung konfrontiert sind, verwendet werden. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei der Produktionsindex, der ja eine mengenmäßige Outputgröße und seit dem bisherigen Höhepunkt vor der Corona-Pandemie im Sinkflug ist. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten 2025/26 die Bestandsaufnahme der Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe auf den Produktionsindex gestützt. 

Sie haben aber auch gelernt, dass es durchaus weitere Indikatoren gibt, die man sich anschauen kann und muss. So die Bruttowertschöpfung. Und deren Entwicklung war in der Vergangenheit weniger eindeutig nach unten gerichtet, sondern – so beispielsweise die Ihnen bekannte Argumentation von Lehmann/Wollmershäuser 2024 – auf dem Niveau  wie vor dem Beginn der Corona-Pandemie.

Nun lohnt ein Blick auf die weitere Entwicklung im vergangenen Jahr. Eine solche Aktualisierung habe ich Ihnen in der folgenden Abbildung erstellt – eine ausführliche Bewertung dessen, was Sie hier sehen, kann ich mir ersparen:

Diesseits und jenseits der Wertschöpfung: Was passiert auf dem Arbeitsmarkt?

Am 2. Januar 2025 habe ich in meinem Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ diesen Beitrag veröffentlicht: Zur Gleichzeitigkeit von scheinbar guten und möglicherweise schlechten Zeiten auf dem Arbeitsmarkt. Ein erster Blick auf die Beschäftigungsentwicklung 2024. Der beginnt mit einer sehr positiven Nachricht, hier das Statistische Bundesamt zitierend: »Im Jahresdurchschnitt 2024 waren rund 46,1 Millionen Menschen mit Arbeitsort in Deutschland erwerbstätig. Das waren so viele Erwerbstätige wie noch nie seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990.«

Mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020 ist die Erwerbstätigenzahl damit seit 2006 durchgängig angestiegen. Das ist doch erst einmal eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte und darauf hinzuweisen auch deshalb von Bedeutung, weil bei vielen Menschen in den vergangenen Jahren der Eindruck produziert wurde, dass immer weniger Menschen einer Erwerbsarbeit nachgehen, dass überall die Arbeitskräfte fehlen. Tatsächlich haben noch nie so viele Menschen eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wie im vergangenen Jahr.

Ein genauerer Blick auf die Zahlen offenbart, dass es vor allem der große und heterogene Dienstleistungsbereich war (und ist), wo zusätzliche Beschäftigung generiert wurde und wird. Aber auch deren Dynamik schwächt sich ab – und man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Zuwachs der Dienstleistungsjobs ausschließlich zurückzuführen ist auf ein anhaltendes Wachstum der Beschäftigung im Dienstleistungsbereich „Öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit“. In anderen Dienstleistungsbereichen gab es im vergangenen Jahr hingegen Beschäftigungsverluste.

Und dann kommen wir zu dem für die „Deindustrialisierungsdebatte“ relevanten Punkt: Im gerade vergangenen Jahr 2024 hat es (wenn wir die beiden besonderen Pandemiejahre 2020 und 2021 einmal ausblenden) erstmals einen Beschäftigungsabbau im Verarbeitenden Gewerbe und damit in dem Bereich gegeben, der als Industrie bezeichnet wird.

Es wird dann weiter ausgeführt:

»Schaut man sich parallel die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit über Zugänge in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt an, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass mit einem sich beschleunigendem Tempo in den zurückliegenden Monaten mehrere tausend Industriejobs abgebaut werden – Monat für Monat. Und es handelt sich hierbei in der Regel um gut bezahlte Jobs, die da verloren gehen. Auch wenn sich die Ökonomen gegenwärtig über die These streiten, ob wir tatsächlich in eine Phase der „Deindustrialisierung“ eingetreten sind (der Streit dreht sich vor allem darum, dass auf der einen Seiten die Industrieprodurktion – übrigens schon seit 2019 – stark rückläufig ist, dies aber für die Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes so (noch) nicht gemessen werden kann) – für den Arbeitsmarkt müssen wir zur Kenntnis nehmen: Die „Deindustrialisdierung“ (auf dem Arbeitsmarkt) hat begonnen.«

Soweit meine Ausführungen Anfang des noch laufenden Jahres. 

Im August 2025 habe ich dann ein Update veröffentlicht: Arbeitsmarkt: Die Deindustrialisierung schreitet weiter voran. Darin wird die Formulierung, dass „in den zurückliegenden Monaten mehrere tausend Industriejobs abgebaut wurden – Monat für Monat“, konkretisiert: Es waren über zehntausend Industriejobs, die 2024 jeden Monat abgebaut worden sind.

Und wie ist es im noch laufenden Jahr weitergegangen?

Dazu habe ich Ihnen diese Abbildung erstellt:

Und der Stellenabbau in „der“ Industrie geht weiter

Der Münchner Lkw- und Bushersteller MAN eine Verlagerung der Produktion von München ins polnische Krakau, so ein Artikel, der am 19.11.2025 veröffentlicht wurde.

»Durch Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen solle das Ergebnis bis 2028 um rund 935 Millionen Euro verbessert werden. Teil des Plans sei auch die Streichung von Gehaltsbestandteilen im Umfang von 160 Millionen Euro. Damit solle die operative Umsatzrendite von MAN bis 2028 auf acht Prozent gesteigert werden. Ohne die Maßnahmen drohten dem Traditionsunternehmen rote Zahlen, hieß es in dem Bericht.«

Aber auch das gehört dazu: »Im Gegenzug wolle der Vorstand Investitionen von 700 Millionen Euro in München und 25 Millionen in Salzgitter zusagen und betriebsbedingte Kündigungen ausschließen.«

Warum sollen die das machen? »Die schwache Konjunktur, die neue Konkurrenz aus China, die auf den europäischen Markt für Elektro-Lastwagen dränge, und die Verschärfung der CO2-Ziele in der EU erzeugten zusätzliche Belastungen. MAN steht dabei zweifach unter Druck: Der konzerninterne schwedische Rivale Scania ist deutlich profitabler.« Übrigens: Der Konkurrent Daimler Truck hat aus den gleichen Gründen angekündigt, 5.000 Arbeitsplätze vor allem in Deutschland zu streichen.

Nun kann man dieses eine Beispiel für einer Verlagerung in das Ausland für das halten, was es erst einmal ist: ein Einzelfall. Der aber stellvertretend für eine größere Entwicklung steht oder stehen könnte. Denn wenn in Deutschland Jobs in der Industrie abgebaut werden, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die generell weg sind, sondern es könnte sein, dass sie aus Deutschland verlagert wurden und nun in anderen Ländern die Arbeit gemacht wird.

Von ins Ausland verlagerten Jobs (und neuen Jobs in Deutschland)

In diesem Kontext ist es sicher interessant, dass das Statistische Bundesamt am 19. November 2025 die ersten Ergebnisse einer neuen Statistik veröffentlicht hat, die zumindest eine ersten Blick auf die Größenordnung von Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland ermöglicht: die Statistik zu globalen Wertschöpfungsketten. Dazu berichten die Bundesstatistiker:

»Unternehmen organisieren ihre Aktivitäten zunehmend global und gliedern ihre Wertschöpfungsketten in kleinere Bestandteile. Globale Wertschöpfungsketten (englisch: Global Value Chains, GVC) spielen daher bei der Herstellung von Produkten und Erbringung von Dienstleistungen eine immer größere Rolle. Informationen über die Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten und die Einbindung deutscher Unternehmen in globale Wertschöpfungsketten gewinnen damit an Bedeutung. Dabei umfassen globale Wertschöpfungsketten alle länderübergreifenden Unternehmensaktivitäten zur Erstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung, einschließlich der Konzeption, alle Schritte des Produktionsprozesses sowie die Bereitstellung für Endverbraucherinnen und Endverbraucher.  Wie gestaltet sich die Einbindung in die globalen Wertschöpfungsketten konkret aus? Welche Motive und Herausforderungen sind damit verbunden? Dies dokumentiert die Statistik zu globalen Wertschöpfungsketten … (Sie) wird alle drei Jahre verpflichtend durchgeführt. Die aktuellen Daten decken den Berichtszeitraum 2021 bis 2023 ab. Befragt werden Unternehmen der Wirtschaftsabschnitte B bis N (gemäß Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008, WZ 2008) mit mindestens 50 tätigen Personen, die Marktproduzenten sind.«1

Und nun wurden die ersten Ergebnisse aus dieser neuen Statistik veröffentlicht:

➞ Im Berichtsjahr 2023 gab es 59.127 deutsche Unternehmen mit mindestens 50 tätigen Personen. Von ihnen waren 34.641 in den grenzüberschreitenden Waren- oder Dienstleistungsaustausch eingebunden und damit Teil globaler Wertschöpfungsketten. Dies entspricht einem Anteil von 59 %. Davon waren 27.395 Unternehmen in den internationalen Warenaustausch eingebunden, 22.181 in den internationalen Dienstleistungsaustausch.

➞ Von den Unternehmen, die 2023 in den internationalen Warenaustausch eingebunden waren, haben fast die Hälfte (44 %) aus dem Ausland Rohstoffe zur Weiterverarbeitung im eigenen Unternehmen eingekauft. Weitere 40 % haben Zwischenprodukte bezogen, die entweder in die eigene Produktion eingingen oder weiterverkauft wurden. Vom eigenen Unternehmen entwickelte Endprodukte wurden von 36 % der Unternehmen ins Ausland geliefert.

➞ Der Warenaustausch fand hauptsächlich zwischen Staaten der Europäischen Union (EU) statt.

➞ Internationaler Dienstleistungs­verkehr bedeutet grenzüberschreitendes Beziehen und/oder Erbringen von Dienstleistungen. Von den Unternehmen, die 2023 daran beteiligt waren, haben 37 % Dienstleistungen aus dem Bereich Transport, Logistik oder Lagerung aus dem Ausland bezogen. Dienstleistungen der Informations- und Kommunikations­technologie aus dem Ausland wurden von 31 % der Unternehmen in Anspruch genommen. 

Wie sieht es generell mit Verlagerungen in das Ausland aus?

➞ Die teilweise oder vollständige Verlagerung von Unternehmens­funktionen ins Ausland stellt eine Form der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten dar. Die Verlagerungsquote für den dreijährigen Berichts­zeitraum zwischen 2021 und 2023 von Unternehmen mit mindestens 50 tätigen Personen beträgt 2,2 %. Diese Quote ergibt sich aus dem Anteil von 1.297 verlagernden Unternehmen an 59.127 Unternehmen insgesamt.

➞ Die Mehrheit der verlagernden Unter­nehmen (920) wählte Zielorte innerhalb der Europäischen Union (EU). In Staaten außerhalb der EU verlagerten 736 der befragten Unternehmen. Dabei machten Zielregionen außerhalb Europas nur einen kleinen Teil aus. Hervorzuheben ist hier Indien: 271 Unternehmen haben dorthin verlagert.

Und wie sieht es mit der Verlagerung von Jobs ins Ausland aus?

Kommen wir zu dem hier besonders relevanten Aspekt der Arbeitsplätze.

»Durch die Verlagerungen wurden nach Angaben der Unternehmen 71.100 Stellen in Deutschland abgebaut, aber auch 20.300 Stellen neu geschaffen, etwa infolge von Umschichtungen in andere Unternehmensfunktionen oder Neueinstellungen infolge von erzielten Kosteneinsparungen. Somit gingen in den Jahren von 2021 bis 2023 durch die Verlagerung von Unternehmensfunktionen ins Ausland netto rund 50.800 Stellen in Deutschland verloren«, berichtet das Statistische Bundesamt unter der Überschrift Unternehmen verlagern zwischen 2021 und 2023 netto 50.800 Stellen ins Ausland. »Sowohl der Stellenabbau als auch der Stellenzuwachs betrifft am stärksten die Unternehmensfunktion „Produktion von Waren“. Hier sind 26.100 Stellen abgebaut worden und 5.000 Stellen neu entstanden, was einem Netto-Stellenabbau von 21 100 Stellen entspricht.«

»Bei den Unternehmen war bei knapp drei Viertel (74 %) die Verringerung der Lohnkosten eine Motivation für die Verlagerung von Unternehmensfunktionen ins Ausland. Bei 62 % führte eine strategische Entscheidung der Konzernleitung zur Verlagerung. Andere Kostenvorteile (ohne Lohnkosten) wurden von 59 % der Unternehmen als Motivation genannt und ein Mangel an Fachkräften im Inland von 38 % der Unternehmen.«

In der Berichterstattung wurden die neuen Zahlen dann so aufgegriffen: Konzerne verlagern Zehntausende Stellen ins Ausland: »Binnen zwei Jahren haben deutsche Unternehmen Zehntausende Jobs ins Ausland verlagert. Laut Statistischem Bundesamt wurden 71.100 Stellen hierzulande ab- und nur 20.300 aufgebaut.«

Fußnote

  1. Wer sich für Details zu dieser Erhebung interessiert, der wird im Qualitätsbericht Statistik zu Globalen Wertschöpfungsketten des Statistischen Bundesamtes fündig. ↩︎